Wie baut man Netzwerke auf?

Dieser Frage ist vor kurzem Christian Henner-Fehr in seinem Artikel „In vier Schritten ein Netzwerk bauen“ nachgegangen, der auf dem 17-seitigen Artikel „Building Smart Communities through Network Weaving” von Krebs und Holley basiert, die darin zeigen, wie man Netzwerke aufbaut. Praxisnah und für Museen soll das auch in diesem Artikel gezeigt werden.

1.Phase:  zerstreute Netzwerkfragmente

Die erste Phase zeigt zerstreute Netzwerkfragmente („Scattered Fragments“). Obwohl auch hier empirische Beweise fehlen, dürfte so die Besucherstruktur eines „normalen“ Museums aussehen. Die Knotenpunkte sind teilweise miteinander verbunden und bilden Cliquen. Von einer Clique würde man sprechen, wenn beispielsweise eine Familie ein Museum besucht. Eine andere Familie, die nicht mit dieser in Kontakt steht (und folglich nicht mit ihr verbunden ist), bildet eine eigene Clique. Einen Netzwerkweber („network weaver“), der bildlich gesprochen die Fäden zusammenhält und die verschiedenen Personen und Cliquen miteinander verbindet, gibt es in so einem Fall nicht. Folglich vernetzen sich die Personen nur sehr langsam, wenn überhaupt (vgl. Krebs/Holley 2006: 6).
Scattered Fragments (Krebs/Holley 2006: 6)

2. Phase: Hub-und-Speichen-Netzwerk

Soll das bislang weitgehend lose Netzwerk gestärkt werden, ist nach Krebs und Holley ein Netzwerkweber notwendig, der für Interaktion zwischen den Personen und Cliquen sorgt. Dieser Weber braucht die Vision, die Energie und die sozialen Fähigkeiten, um die verschiedenen Individuen und Cliquen zusammenzubringen. Nach Aderhold sind außerdem Adressen eine wichtige Voraussetzung, um Kontakte anzusprechen. Denn „über persönliche Kontakte, genauer über das Zusammenspiel positional oder individuell ausformulierter Adressen bilden sich soziale Netzwerke (…)“ (Aderhold 2004: 308).
Möchte der Netzwerkweber aus diesen „Scattered Fragments“ ein Netzwerk bilden, macht er sich nach Krebs und Holley zu einem Hub und stellt Beziehungen zwischen sich und den Knoten her. Im Idealfall entsteht aus den zerstreuten Netzwerkfragmenten ein wie nachfolgend abgebildetes Hub-und-Speichen-Netzwerk („Hub-and-Spoke-Network“) (siehe Abbildung unten). Krebs und Holley bezeichnen diese Phase als kritisch, da alles vom Netzwerkweber abhänge – wenngleich sie anmerken, dass es durchaus mehrere Hubs geben könne (vgl. Krebs/Holley 2006: 7).
Auch ein Museum kann als Netzwerkweber agieren, indem es z.B. aktiv das Gespräch mit seinen Besuchern oder den Mitgliedern des Fördervereins sucht und so mehr über diese Personen und Cliquen erfährt. Auch online ist so eine Vorgehensweise denkbar, wenn das Museum beispielsweise auf einer Social Network Site wie Facebook eine Fan-Seite erstellt und dort Fans „sammelt“. Generell, das heißt auch in den nachfolgenden Phasen gilt, dass die Kontaktstruktur sozialer Netzwerke auf Interaktion, Geselligkeit, Organisation und dem Gebrauch symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien basiert (vgl. Aderhold 2004: 304).
Hub-and-Spoke Network (Krebs/Holley 2006: 7)

3. Phase: Multi-Hub Kleine-Welt-Netzwerk

Nachdem der Netzwerkweber Kontakte geknüpft hat, ist es seine Aufgabe herauszufinden, was die Individuen oder Cliquen brauchen und was sie wissen, um sie so möglichst schnell miteinander zu verknüpfen (vgl. Krebs/Holley 2006: 8). Nach Aderhold sind netzwerkbildende Effekte dann zu erwarten, wenn in der Interaktion eigenständige, an der Individualität der Personen orientierte Gesichtspunkte in den Vordergrund gerückt werden, was auch heißt, die Interessen der Organisation in den Hintergrund zu stellen bzw. ganz außer Acht zu lassen (vgl. Aderhold  2044: 304).
Da sich die ganzen Austauschbeziehungen in dieser Phase auf den Netzwerkweber als Hub konzentrieren und sein Scheitern mit einem Scheitern des Netzwerks einherginge, ist es seine Aufgabe die Individuen und Cliquen miteinander zu verbinden und damit das Netz zu weben.
Auf den Museumsbereich übertragen, könnten beispielsweise bei Veranstaltungen oder Vernissagen einzelne Personen und Cliquen einander vorgestellt werden oder im Internet versucht werden, Facebook-Fans des Museums miteinander in Verbindung zu bringen.
So entsteht nach und nach ein Multi-Hub Kleine-Welt-Netzwerk („Multi-Hub Small World Network“), bei dem der Netzwerkweber zunehmend seine Zentralität verliert, das Netzwerk nur noch moderiert und das Netzwerk sich von ihm emanzipiert. Das Netzwerk gewinnt an Stärke, da die Vernetzung zunimmt (höhere Transitivität) und nicht mehr nur von einem zentralen Hub abhängig ist. Dieses Unterfangen ist nach Aderhold auf den ersten Blick organisationsfern oder gar feindlich, doch können Netzwerke als Gestaltungsinstrument der Organisation genutzt werden, um Dinge zu tun, die mit den vorhandenen Strukturen nicht bewegt werden können, z.B. indem man den Mitgliedern Nischen eröffnet, die Ausgestaltung den beteiligten Personen überlässt und durch rahmensetzende Vorgaben und Ziele den Korridor für das sich selbststeuernde Netzwerk festlegt (vgl. Aderhold 2004: 305).
Am Anfang dieser dritten Phase bestehen die Beziehungen zwischen den Personen und Cliquen aus weak ties (in der Abbildung grau), die sich im Lauf der Zeit stärken lassen und so zu strong ties werden (in der Abbildung rot). Wichtig ist zunächst die Brückenfunktion. Angelehnt an Granovetters Untersuchungen lässt sich konstatieren, dass die Stärke des Netzwerks auf der Vielzahl an schwachen Beziehungen zwischen den Personen und Cliquen beruht (vgl. Krebs/Holley 2006: 11 f.).
Mulit-Hub Small World Network (Krebs/Holley 2006: 14)

4. Phase: Kern-Peripherie-Netzwerk

In der vierten und letzten Phase gilt es die Beziehungen zu stärken, so dass möglichst viele strong ties entstehen können. Damit dies funktionieren kann, müssen nach Krebs und Holley auch Suspendierungskriterien festgelegt werden. Das Ziel eines dynamischen und nachhaltigen Community-Netzwerks mit einer Vielzahl von Hubs, die untereinander eine starke Beziehung haben, wird im Kern-Peripherie Netzwerk (Core-Periphery Network) skizziert. Bis eine solche stabile Struktur aufgebaut ist, die wiederum Kontakt zu anderen Netzwerken in weiter entfernten Regionen herstellen kann, können mehrere Jahre vergehen (vgl. Krebs/Holley 2006: 14). Krebs und Holley unterscheiden zwischen drei verschiedenen Netzwerkmitgliedern:
  1. Jene, die neu in der Community sind und zum Kern gelangen wollen.
  2. Jene, die eine Brückenfunktion innehaben und sich in mehreren Communities befinden.
  3. Jene, die nicht Teil der Community sind (vgl. Krebs/Holley 2006: 15).
Ob das Vorhaben, ein solches Kern-Peripherie Netzwerk aufzubauen von Erfolg gekrönt ist, und das Netzwerk an Emergenz gewinnt, d.h. das Netzwerk durch das Zusammenspiel seiner Elemente eigene Eigenschaften bzw. eine Eigendynamik bildet, hängt nach Weber davon ab, ob 1. der grundsätzliche Wille der Akteure vorliegt, durch Interaktion ein Netzwerk bilden zu wollen, und ob 2. die Akteure fähig sind, eine eigene Netzwerkidentität durch selbstbezügliche Prozesse zu bilden, so dass die Interaktion an vergangene Interaktionen ‚anschlussfähig‘ sind“ (Weber 1994: 15). Bei Krebs und Holley wird dieses mögliche Problem nicht thematisiert.
Die nachfolgende Abbildung zeigt eine gut entwickelte Kern-Peripherie-Struktur (Core/Periphery Network). Die blauen Knotenpunkte bilden das Herz des Netzwerks, die grünen die Peripherie. Das Netzwerk ist insgesamt sehr dicht (was vermutlich nicht jedem Netzwerk gelingt). Die Dichte des Netzwerks ist als positiv zu bewerten, jedoch kann eine zu hohe Dichte zu Starrheit sowie einem Overload an Aktivitäten führen. Die Aufgabe des Netzwerkwebers ist es deshalb, sich um das Monitoring und das Controlling des Netzwerks zu kümmern und ggfs. Verbindungen zu beeinflussen, um sie an die derzeitige Umwelt anzupassen und das Netzwerk lebendig zu halten.
Die eigentliche Aufgabe des Netzwerkwebers ist weitgehend abgeschlossen. Er kann sich nun um interregionale Allianzen bemühen und Brücken zu anderen Netzwerke bauen. Dazu muss er die Reichweite der Peripherie maximieren und gleichzeitig den Kern stärken (vgl. Krebs/Holley 2006: 16 f.). Im Falle eines Museums, das beispielsweise neue Zielgruppen erschließen will, könnte versucht werden, Kooperationen mit anderen Netzwerken wie beispielsweise interkulturellen Vereinen oder Theatergemeinschaften einzugehen, und so bislang unerreichte Zielgruppen zu erschließen.
Wenn Netzwerke für einen ganz bestimmten Anlass gebildet wurden, um beispielsweise gemeinsam das Jubiläumsfest eines Museums zu organisieren und durchzuführen, so kann es passieren, dass das Netzwerksystem zunehmend in einen Potenzialzustand übergeht. Aus diesem Grund könnte es sich als sinnvoll erweisen, zwischen einem Netzwerk als zeitlich begrenztem Interaktionsuster einerseits und einer langfristigen Beziehungskonstellation andererseits zu unterscheiden (vgl. Aderhold 2004: 305).

Core/Periphery Network (Krebs/Holley 2006: 16)

Literatur:

Aderhold, Jens (2004): Form und Funktion sozialer Netzwerke in Wirtschaft und Gesellschaft. Beziehungsgeflechte als Vermittler zwischen Erreichbarkeit und Zugänglichkeit, Wiesbaden.

Krebs, Valdis/ Holley, June (2006): Building Smart Communities through Network Weaving, Ort unbekannt.

Weber, Burkhard (1994): Unternehmensnetzwerke aus systemtheoretischer Sicht. Zum Verhältnis von Autonomie und Abhängigkeit in Interorganisationsbeziehungen. Institut für Betriebswirtschaft, Hochschule St. Gallen, Heft 9, St. Gallen.

3 Antworten

  1. Ja, guter Link-Tipp! Ich könnte dich schon fast als Recherche-Assistenz einstellen 😉 Ernsthaft, vielen Dank, bring ich auf jeden Fall in der Arbeit unter. Das „Heroes“-Konzept ist auch ganz gut umgesetzt. Wenn du noch mehr so interessante Links hast, lass es mich wissen!

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