Die stARTconference hat eine Blogparade zum Thema „Crowdsourcing“ ausgerufen. Neu ist das Thema nicht, aber aktuell, denn ihre nächste Konferenz möchte das stART-Team zusammen mit der Community organisieren. Ist Crowdsourcing im Jahr 2010 überhaupt noch möglich? Ein Überblick.
„Es könnte alles so einfach sein – ist es aber nicht!“
Die Weisheit der Fantastischen Vier trifft leider auch auf das Thema Crowdsourcing zu. Denn es ist es gar nicht (mehr) so einfach, Leute zu finden, die kostenlos oder gegen ein geringes Entgelt für einen arbeiten. Die Anzahl an Autoren von Wikipedia (immerhin das Vorzeigeprojekt schlechthin) nimmt laut FAZ.NET ab und Projekte wie Open Street Map werden von der Masse erst gar nicht angenommen. Offline wie online gibt es zig Möglichkeiten sich ehrenamtlich zu engagieren und deshalb muss bei einem Crowdsourcing-Projekt die Frage „Was bringt mir das?“ aus Sicht der Teilnehmer eindeutig zu beantworten sein. Bei kommerziellen Crowdsourcing-Aktionen kann neben einer Erhöhung des eigenen Bekanntheitsgrads vor allem Geld ein Anreiz sein, sich zu beteiligen. Bei gemeinnützigen Aktionen, die in der Regel nicht vergütet werden, spielt Geld nur eine untergeordnete Rolle. Ich denke, die Motive an Crowdsourcing-Projekten zu partizipieren, sind vergleichbar mit denen für eine ehrenamtliche Tätigkeit. Dazu gehören beispielsweise: etwas Gutes tun, Spaß haben, neue Leute kennenlernen, bestehende soziale Kontakte pflegen, neue Erfahrungen machen, neues Wissen erwerben, das Selbstwertgefühl steigern und das eigene Image verbessern (mehr auf Wikipedia).
Wer macht schon sein Hobby zum Beruf?
„Oft gleicht die Art des Engagements bezahlte Berufstätigkeit aus: Wer beispielsweise in der Buchhaltung arbeitet, will ehrenamtlich mit Menschen zu tun haben“, ist auf Wikipedia im Artikel zu Ehrenamt zu lesen. Nur die Wenigsten sind demnach bereit, beruflich und privat dasselbe zu arbeiten. Deshalb verwundert es wenig, wenn PR-Doktor Kerstin Hoffmann schreibt, dass sie ehrenamtlich keine PR für wohltätige Organisationen macht (Anmerkung: siehe Berichtigung im Kommentar). Statt zu fragen, ob sie die PR übernimmt, wäre es zielverführender, sie zu fragen, ob sie bei einem Spendenmarathon mitläuft – quasi als Ausgleich zu ihren „normalen“ Beruf. Was für das Ehrenamt im Allgemeinen gilt, kann für Crowdsourcing und für Open Source Projekte nur bedingt gelten. Das Betriebssystem Linux wäre beispielsweise nie entstanden, wenn nicht professionelle Entwickler in ihrer Freizeit freiwillig an der Software weitergearbeitet hätten. Auch der Großteil der Wikipedia-Artikel ist vermutlich nicht von Bauarbeitern und Müllwerkern, sondern von „Büromenschen“ geschrieben worden. Eine empirische Erhebung wie viel Prozent der Menschen ihren Beruf zum Hobby machen (also Nerds sind :-)), liegt mir leider nicht vor.
Einsatzgebiete von Crowdsourcing
Matias Roskos hat 2009 auf seinem Blog Einsatzgebiete und Beispiele für Crowdsourcing einmal aufgezählt. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich Crowdsourcing vor allem im kreativen Bereich eignet, wenn beispielsweise
- Designvorschläge für Werbung, Produkte, Verpackungen, Logos und Corporate Identities gesucht werden,
- nach neuen Ideen für Produkte oder Produktentwicklungen und nach Produktnamen Ausschau gehalten wird,
- Wissen gesammelt und eingeordnet werden soll,
- Content und Erfahrungen gesammelt und eingeordnet werden sollen oder
- kollaborative Filmprojekte realisiert werden sollen.
Das Geschäftsmodell von redesignme basiert sogar auf Crowdsourcing bzw. genauer gesagt auf „Community Sourcing“. Unternehmen können auf der Plattform Wettbewerbe ausloben und dabei die momentan 5.500 Personen starke Community von redesignme nutzen, um beispielsweise an neue Ideen zu gelangen oder ihr Corporate Design überarbeiten zu lassen. Die kreativen Community-Mitglieder erhalten als „Lohn“ für ihre Einreichungen so genannte RDM (10 RDM = 1 Euro), die sie im „RDM shop“ einlösen und dort beispielsweise Amazon-Gutscheine oder ein iPad kaufen können. Das Geschäftsmodell von Konkurrent 99designs ist ähnlich.
Crowdsourcing im kommerziellen Kontext
Veranstalten Unternehmen Crowdsourcing-Projekte ist das moralisch nicht immer unbedenklich, denn letztlich nutzen sie zu einem kleinen Preis die Arbeitskraft und die Intelligenz der Masse. In dem lesenswerten Artikel „Zwei Cent für den Schafzeichner“ auf Spiegel Online wurde dieses Problem bereits im Jahr 2006 angesprochen. Man könnte dagegen halten, dass es erstens jedem freigestellt ist, an einem solchen Wettbewerb teilzunehmen und dass zweitens ja nur die überschüssige Energie der Menschen genutzt wird. Um dem Vorwurf der Ausbeutung von Arbeitskräften vorzubeugen, nutzen Unternehmen deshalb Crowdsourcing vor allem im Rahmen von Wettbewerben. Unter den Besten werden dann ein paar Tausend Euro an Preisgeldern augeschüttet – die anderen Teilnehmer gehen leer aus. Vor kurzem hat die Biermarke Becks (mal wieder) nach neuen Designvorschlägen für ihr Etikett gesucht und dafür einen Crowdsourcing-Wettbewerb ausgerufen. Die Prosumenten haben getan, was sich Becks erhofft hat und professionelle Designentwürfe eingereicht. Hätte das Unternehmen eine Agentur beauftragt, hätte es um diesen Preis wohl kaum eine solche Vielfalt an Vorschlägen bekommen, hätte es keinen Imagegewinn und keine Community-Effekte gehabt und deutlich weniger Publicity für sich verbuchen können. Aus solchen Gründen hat wahrscheinlich auch die EU letztes Jahr ihr neues BIO-Logo crowdgesourct. Das Preis-Leistungs-Verhältnis dürfte aus Sicht der Veranstalter in beiden Fällen gestimmt haben.
Auch in der Offline-Welt hoffen Unternehmen wie die Deutsche Post durch Crowdsourcing Geld sparen zu können. Ende Oktober hat sie mit ihren „Bring Buddys“ ihr neuestes Crowdsourcing-Experiment veröffentlicht. Die Idee besteht vereinfacht gesagt darin, Privatpersonen als günstige Paketzusteller zu nutzen. Der Artikel dazu auf ZEIT ONLINE befindet sich übrigens in der Rubrik „Irrwitz der Woche“.
Gefahren von Crowdsourcing
Was hat man schon zu verlieren? Nicht viel möchte man meinen. Wenn bei einem Crowdsourcing-Wettbewerb die Einreichungen nicht den eigenen Ansprüchen entsprechen, verteilt man die paar Tausend Euro an Preisgeldern eben und fertig. Problematischer wird es, wenn die Prosumenten eine tragende Säule des Projekts darstellen, wenn sich das Projekt also ohne die (ehrenamtliche) Arbeit der Masse nicht realisieren lässt. Aus diesem Grund halte ich das Vorhaben, die stART.11 von freiwilligen Helfern organisieren und durchführen zu lassen für mutig. Denn abseits der großen Crowdsourcing-Flagschiffe wie Wikipedia, YouTube, Flickr, Qype und Holidaycheck gibt es nicht gerade viele Best Practices. Es einfach so wie Wikipedia zu machen, ist leider nicht so einfach.
So kann man auf einen unbezahlten Arbeiter beispielsweise nur geringen Druck ausüben. Wenn alle zuverlässig und ordentlich arbeiten und ihre Sachen pünktlich liefern, dann ist das kein Problem, wenn nicht, kann es zu einem werden. Außerdem sind Offline- wie Online-Treffen mit großen Teams schwer zu koordinieren und zu organisieren (man denke nur an die Terminabsprache…). Es wird zu viel Nebensächliches gequatscht, es gibt zu viele verschiedene Meinungen und zu lange Diskussionen. Kurzum, die Handlungsfähigkeit leidet. Bei Projektteams sagt man deshalb als Faustregel, dass ca. sieben Mitarbeiter optimal sind (ich persönlich würde sogar zu etwas weniger tendieren). Blauäugig ist das stART-Team nicht und deshalb hat man sich konkrete Ziele gesetzt, die bis Ende Februar 2011 erreicht sein müssen. Werden diese nicht erfüllt, muss wohl ein kleineres Team das Ruder herumreißen. Ich bin gespannt… (und natürlich als Helfer mit im Boot).
Als Nachtrag gibt’s noch einen Linktipps zum Thema: „8 Punkte zum Thema Crowdsourcing“.
13 Antworten
Hallo Axel!
Interessanter Beitrag. Allerdings stimmt es so nicht – und steht so auch nicht in dem verlinkten Beitrag -, dass ich keine PR für wohltätige Institutionen mache.
Erstens mache ich welche gegen Honorar, denn auch das gibt es. Zweitens mache ich auch welche ohne Honorar; aber eben für solche, die ich mir selbst ausgesucht und zu denen ich einen Bezug habe. Und nicht auf einfache Anfragen von mir bisher Unbekannten hin.
Viele Grüße
Kerstin Hoffmann
Danke für die Korrektur. Da du die Sache selbst richtig gestellt hast, ändere ich es im Text nicht mehr, ok?
Hm. Vielleicht könntest du oben ein (Edit: Siehe Kommentar unten einfügen?)
Ok, gemacht.
Zugegeben, mutig ist das, was wir vorhaben. Und das Risiko, dass sich das Projekt nicht so entwickelt, wie wir uns das vorstellen, ist nicht ganz klein.
Aber wir haben uns, wie Du ja geschrieben hast, ein Ausstiegsszenario überlegt, wenn wir bis Ende Februar kein zufriedenstellendes Ergebnis schaffen.
Wichtig ist uns aber, dass wir hier niemanden ausnützen. Wir wollen nicht, dass jemand jetzt ein Jahr Tag für Tag kostenlos für die stART11 schuftet, sondern es geht darum, Dinge zu finden, die für uns nicht machbar oder aufwendig sind, für andere aber schnell getan sind. Ein schönes Beispiel ist der Kontakt zu einem Printmedium. Wir haben da zu wenig und wir erwarten nicht, dass jemand Pressetexte zu verfassen beginnt. Aber die Rutsche legen, dass ein Text dort landet, das wäre hilfreich.
Dafür gibt es dann für die stART11en auch das Ticket um 100 Euro günstiger, was für uns heißt: auch die Gegenleistung sollte in dieser Größenordnung liegen. Natürlich werden wir niemanden davon abhalten, sich darüber hinaus einzubringen, aber auch hier werden wir jetzt erst einmal eine Struktur einziehen, sonst organisieren wir uns ein Jahr selbst und kommen gar nicht dazu, eine Konferenz zu organisieren.
In meinen Augen ist es ein spannendes Experiment, das auch für den Kunst- und Kulturbereich interessant sein könnte. Bevor wir das propagieren, müssen wir aber erst einmal zeigen, dass es funktioniert.
Bei gemeinnützigen Projekten (wozu ich die stART11 zähle) sehe ich die Gefahr der Ausbeutung nicht wirklich. Aus eigener Erfahrung kann ich auch sagen, dass sich für mich die Mitarbeit bei der stART in den letzten beiden Jahren auf jeden Fall gelohnt hat – sowohl privat wie auch beruflich! Ich hab viele nette und wichtige Leute kennengelernt, hatte viele interessante und lehrreiche Gespräche und über Karin bin ich sogar an den Job an der Deutschen Oper rangekommen (gut, hat nicht geklappt, aber das ist ein anderes Thema…). Will sagen: Bei der stART mitarbeiten lohnt sich!
Das Problem sehe ich an anderer Stelle. Gestern etwa hat ein Beitrag von Michael Strogies in der stART11en-Gruppe auf Facebook eine recht lange Diskussion ausgelöst. Dazu gibt es mittlerweile 32 Kommentare und alle sind sich im Prinzip einig: U-Musik sollte Teil der nächsten Konferenz sein. Ich hingegen bin anderer Auffassung und würde die stART.11 thematisch einengen, würde also eher einen Tag für Museumsmenschen machen und einen Tag für Theaterleute. Über den Tellerrand zu schauen und Beispiele aus anderen Kulturbereichen zu nennen, finde ich wichtig, aber wenn man das alles in einen Topf wirft, können die Probleme m.E. nicht differenziert genug betrachtet werden. Ich weiß natürlich, dass das nur (m)eine Meinung ist und respektiere die der anderen. Aber letztlich muss halt jemand eine Entscheidung fällen, denn manchmal ist es eben kein „Und“, sondern ein „Entweder-Oder“. Je weniger es ein richtig oder falsch gibt, desto schwieriger wird die Sache. Ein typisches Beispiel: Frag doch mal in die Runde, welche Farbe das nächste stART-Logo haben soll. Da bekommst du zig antworten und letztlich bist du genauso schlau wie vorher, weil ein paar grün wollen und ein paar blau. Repräsentativ ist beides nicht. Dafür entstehen lange, zeitfressende Diskussionen, die die Stimmung nicht besser machen und einen nicht wirklich weiterbringen.
Bedeutet denn Crowdsourcing für Dich, dass alle alles entscheiden? Ich sehe das nicht so und denke, die Herausforderung bei der stART11 besteht darin, trotz der großen Unterstützung noch eine Arbeitsstruktur hinzubekommen. Sonst sind wir wie gesagt das nächste Jahr nur mit uns selbst beschäftigt und nicht mit der Konferenz.
Aber die Gefahr besteht natürlich, da will ich Dir nicht widersprechen…
Nein, das heißt es nicht. Aber Crowdsourcing heißt für mich, unglaublich viele Ideen zu bekommen – weit mehr als man umsetzen kann. Im nächsten Schritt bedeutet das, den Ideengebern zu erklären, welche Ideen man realisiert und welche nicht. In der Folge werden viele enttäuscht sein, im schlimmsten Fall sogar frustiert.
Stimmt, da wird es auch Enttäuschungen geben und deshalb ist es wichtig, dass das Prozedere transparent ist und nachvollziehbar ist, warum welche Entscheidungen getroffen werden. Sonst ist der Schaden groß.
Zum Thema Wikipedia eine kurze Bemerkung: Wikipedia-Autoren sind schon meist Büromenschen und oft Uni-nah. Aber so ein bißchen Abstand zum Thema brauchen sie dann doch. Die Erfahrung ist oft, dass Theologen über Biologie schreiben, Informatiker über Geschichte, Historiker über Autorennen etc.