Nicht Social Media machen, sondern ganzheitlich handeln!

In meinem letzten Beitrag habe ich Kultureinrichtungen dazu geraten, das Early Adopting sein zu lassen – weil es zu viel Zeit kostet und zu wenig bringt. Christian Henner-Fehr hat daraufhin auf Facebook geschrieben, dass er fehlende Zeit nicht als Argument gelten lässt. Da hat er insofern Recht, als dass es „fehlende Zeit“ ja überhaupt nicht gibt, sondern nur „andere Prioritäten“. Doch vergessen sollte man nicht, dass viele Kultureinrichtungen einen ausgeprägten Ü50-Besucheranteil haben (siehe z.B. hier oder hier), der sich nur sehr bedingt für Pinterest, Path & Co. interessiert. Gleichwohl sind Zielgruppen nicht in Stein gemeißelt, Kultureinrichtungen können, nein, müssen neue erschließen. Das Problem: Social Media allein wird es nicht richten. Ein ganzheitliches Marketing und eine konsistente Kommunikation sind gefragt.

Ganzheitliches Marketing

Ein ganzheitliches, konsistentes Marketing ist essenziell für nachhaltigen Erfolg. Ein Satz, der so in jedem Marketing-Buch stehen könnte. Im Wesentlichen bedeutet er: Produkt, Preis, Kommunikation und Distribution müssen zusammenpassen. So macht es beispielsweise wenig Sinn, eine Facebook-Seite für Corega Tabs einzurichten, denn die meisten Facebook-Nutzer tragen keinen Zahnersatz. Bei Kultureinrichtungen mag die Kluft nicht ganz so krass sein und natürlich möchten sie alle ansprechen – die Jungen wie die Alten, die Armen wie die Reichen, die Intelektuellen wie die Bildungsfernen –, doch diese Strategie geht schon seit Jahren nicht auf. Alarm! Alarm! Der Kulturauftrag ist gescheitert! Aber obwohl das wahrlich nicht die neueste wissenschaftliche Erkenntnis ist, begehen Kultureinrichtungen immer wieder den gleichen Fehler: sie handeln nicht konsistent. Sie versuchen allzu oft ihre für Digital Outsiders entwickelten Produkte via Social Media an die Digital Natives zu verchecken (mehr zu den Milieus, siehe unten). Und haben dann – Oh, Wunder! – nur mäßigen Erfolg.

Kleine Anekdote: das Urmensch-Museum

Im Rahmen meines Kulturmanagement-Studiums in Ludwigsburg war ich 2009 in ein Projekt involviert, das sich zur Aufgabe gemacht, die Kommunikation des Steinheimer Urmensch-Museums zu pimpen. Allein die Kommunikation war nicht das Problem des Museums, jedenfalls nicht das Hauptproblem, denn das war die Ausstellung selbst. Klar, eine eigene Museums-Website hätte nicht geschadet und klar, die Ausstellungfotos hätte man mit Photoshop anhübschen können, aber angenommen der Plan wäre aufgegangen und die Besucher in Massen in das Museum geströmt, was wäre dann passiert? Richtig, die Besucher hätten sich im Museum gelangweilt und wären enttäuscht nach Hause gefahren, schlimmstenfalls hätten sie auf Facebook, Qype & Co. negative Kommentare hinterlassen. Nachhaltig wäre der Erfolg jedenfalls nicht gewesen. Dass das Urmensch-Museum bis heute keine eigene Website hat (sondern nur der Förderverein), wirkt zwar vorsintflutlich, ist aber wenigstens konsequent.

Besonders kleine Kultureinrichtungen sollten sich positionieren

Während größere Kultureinrichtungen die Möglichkeit haben, verschiedene Angebote für verschiedene Zielgruppen zu entwerfen, fehlt es kleineren Kultureinrichtungen an den notwendigen Kapazitäten, um solch eine Form der Angebotssegmentierung zu betreiben. Gerade aus diesem Grund sollten sie schauen, wer momentan ihre Besucher sind und sie sollten wissen, welche Besucher sie in fünf oder zehn Jahren haben wollen. Und daraus sollten sie dann eine konsistente Marketingstrategie entwickeln.

Das Gegenteil von gut, ist gut gemeint

Schaut man sich die Website des AuGuS-Theater Neu-Ulm, merkt man, dass der Chef des Theaters, Heinz Koch, ein Hansdampf in allen Gassen ist. Auf der Homepage ist sowohl ein Facebook- wie auch ein Twitter-Widget eingebunden, es gibt einen Blog, man kann sich mit Heinz Koch auf XING verbinden und auf den Programmflyern sind QR-Codes aufgedruckt. Kurzum: Das Theater ist an jungen Besuchern interessiert. Doch Hand aufs Herz: Spricht die Website junge Leute an? Wohl eher nicht, dafür ist sie von der Farbgebung und dem Design zu altbacken, zu handgestrickt. Nächste Frage: Spricht die Website ältere Leute an? Wohl eher nicht, denn dafür gibt es zu viel Elemente, die ablenken und dafür ist die Menüführung zu unübersichtlich. Es ist durchaus lobenswert, dass Heinz Koch versucht, aktuelle Entwicklungen mitzugehen, doch schade ist es, wenn dieser Versuch zu einer inkonsistenten Kommunikation führt.

Screenshot von der Website des AuGuS-Theaters

Zuerst die Zielgruppe auswählen und dann mutig kommunizieren!

Anfang des Jahres habe ich das Thalia Theater gelobt, und zwar vor allem deshalb, weil das Theater mutig kommuniziert. Weil es mit seinen Facebook-Fans anders redet als in seinen Pressemitteilungen. Weil es sich was getraut! Davon kann das Theater Heilbronn meines Erachtens noch viel lernen. Denn obwohl die Liste an bespielten Plattformen und benutzten Tools beeindruckend lang ist (Blog, Facebook, Twitter, YouTube, Google+, flickr, issuu, Pinterest, vimeo, Mister Wong, Delicious, Shareaholic, Technorati, HootSuite und bit.ly – siehe Interview von Karin Janner mit Katrin Schröder), sind weder die Inhalte noch die Sprache in den Social Media auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten. Vermutlich ist das sogar von der Führungsriege so gewollt, weil man Angst davor hat, jemanden zu vergraulen. „Bloß nichts falschmachen!“, lautet die Strategie. Doch Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber und Mittelmäßigkeit wenig erfolgversprechend. Deshalb mein Appell: Zielgruppe eingrenzen und mutiger werden!
Was ich damit meine? Hier ein Beispiel: Original-Facebook-Posting des Theaters: „Erschöpft und glücklich nahm unser Kohlhaas-Darsteller Tobias D. Weber nach der Premiere die stehenden Ovationen und die Bravo-Rufe seines Publikums entgegen.“ Mein Vorschlag: „Den Besuchern bluteten nach der Kohlhaas-Premiere die Hände. So arg hatten sie geklatscht. So geil war es.“ Entspricht das der Wahrheit? Nein. Ist der Satz grammatikalisch richtig? Nein. Ist das Posting besser? Nein, nicht, wenn man alle erreichen will. Hat man es aber auf die Digital Natives abgesehen, so ist es ungefähr einhundertausendmillionen Mal besser.

Liebe Social Media Beauftragte in den Kultureinrichtungen…

hier könnt ihr euch die Sinus-Studie „Milieu-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet“ herunterladen. Darin werden sieben Internet-Milieus identifiziert. Die detaillierten Beschreibungen der Milieus findet ihr ab Seite 55, die Kurzcharakteristika habe ich euch sogar schon rauskopiert (siehe unten). Um zielgruppengerecht zu kommunizieren müsst ihr, bzw. eure Chefs jetzt nur noch eine Zielgruppe auswählen und dafür dann eine Strategie entwickeln. Zumindest eine Begrenzung auf eine der drei Grundtypen (Digital Outsiders – Digital Immigrants – Digital Natives) sollte doch drin sein. Bitte macht das! Und zwar noch heute!

Digital Outsiders

  • Internetferne Verunsicherte
    Überforderte Offliner bzw. Internet-Gelegenheitsnutzer. Selbstgenügsamkeit, Sittlichkeit und Anstand. Bedürfnis nach Schutz und Kontrollmechanismen.
  • Ordnungsfordernde Internet-Laien
    Bürgerlicher Mainstream mit Wunsch nach Ordnung und Verlässlichkeit. Defensiv-vorsichtige Internet-Nutzung

Digital Immigrants

  • Verantwortungsbedachte Etablierte
    Aufgeklärtes Establishment mit Führungsbewusstsein. Selektive Internet-Nutzer. Verantwortungsorientierte Grundhaltung gegenüber digitalem Fortschritt.
  • Postmaterielle Skeptiker
    Zielorientierte Internet-Anwender mit kritischer Einstellung zu kommerziellen Strukturen und „blinder“ Technik-Faszination.

Digital Natives

  • Unbekümmerte Hedonisten
    Fun-orientierte Internet-User auf der Suche nach Entertainment und Erlebnis. Unkonventionell – nicht risikosensibilisiert.
  • Effizienzorientierte Performer
    Leistungsorientierte Internet-Profis mit ausgeprägter Convenience- und Nutzen-Orientierung. Professionalisierung als Leitprinzip.
  • Digital Souveräne
    Digitale Avantgarde mit ausgeprägter individualistischer Grundhaltung. Suche nach Unabhängigkeit in Denken und Handeln.
Prozentuale Verteilung der Internet Milieus


2 Antworten

  1. 1. Mutig und provozierend, das passt nicht zu jedem Image und jeder Zielgruppe. Nicht jedes Theater muss provozierend auftreten, nur weil es ein Theater ist.

    2. Ich denke, dass sich viele Social Media Beauftragte in Kulturbetrieben wünschen würden, ca. so kommunizieren wie Du vorschlägst. Aber wie viele Social Media Beauftragte von Kulturbetrieben „dürfen“ denn so kommunizieren, wie sie es für richtig halten? Wäre interessant da mal eine Umfrage zu machen 😉

    3. Was Positionierung und „ganzheitliches Marketing“ betrifft gebe ich Dir Recht. Dort sollte man Gehirnschmalz einfließen lassen und an den Stellschrauben drehen, nicht vorrangig bei Facebook…
    Wenn man dort seine Hausaufgaben aber gemacht hat, kann man ruhig auf mehreren Plattformen vertreten sein.
    Damit will ich sagen: Die Tatsache, dass man nicht nur Facebook, sondern mehrere Plattformen nutzt heißt nicht, dass man zu wenig Zeit in Positionierung oder Ausstellungskonzeption gesteckt hat. Genauso wenig wie die Tatsache, dass man auf möglichst vielen Plattformen vertreten ist für die Qualität der Kommunikation spricht.

  2. Entschuldige die späte Antwort.
    Zu 1. „Mutig und provozierend“ würde ich nicht in einen Topf werfen. Das wohl bekannteste Best Practice Beispiel für eine gelungene Corporate Language kommt wohl von IKEA. Die verwendete Sprache ist mutig, aber nicht provokant.
    Zu 2. Dass die Social Media Beauftragten meist nicht die „Schuldigen“ sind, weiß ich. Deshalb schreibe ich ja sowas. Damit die zu ihrem Chef gehen und sagen können: „Im Web hat uns einer kritisiert. Was meinen Sie dazu? Hat er Recht?“
    Zu 3. Den Begriff „ganzheitliches Marketing“ habe ich unglücklich gewählt. Denn für viele bezieht er „alle Bereiche und Felder eines Unternehmens“ ein (und nicht nur den Marketing-Mix). Mit deiner Anmerkung, dass man neben Facebook durchaus noch andere Plattformen bespielen kann, hast du prinzipiell Recht. Ich sehe halt die Gefahr, dass sich die Kultureinrichtungen auf den zig Social Media Plattformen verzetteln.

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