Über Liebe wird viel geredet und geschrieben. Ihre Anwesenheit ist schön, ihre Abwesenheit unerträglich. Doch kaum jemand hat sich schon mal den Wikipedia-Eintrag dazu durchgelesen, weil ja jeder weiß, was Liebe ist. So ähnlich ist es mit Kultur. Ein Beitrag zur #Kultdef-Blogparade von Tanja Praske, der nichts besser macht.
Der Ansatz der Blogparade hat leider Bild-Zeitungsniveau. Statt „Liebe ist …“ soll man den Satz „Kultur ist für mich …“ vervollständigen. Dabei kommt nichts praktisch Verwertbares heraus, bestenfalls ein nicht repräsentatives Stimmungsbild. Ich bin mir deshalb so sicher, weil Andreas Mäckler schon 1987 zu einem ähnlichen Thema – Was ist Kunst? – 1080 Zitate zusammengetragen hat, in der Neuauflage sogar 1460. Auch die haben uns nicht weitergebracht. Mittlerweile rege ich mich aber über Sätze wie „Kultur ist für mich wie Liebe“ nicht mehr auf – solange die Betonung auf „für mich“ liegt. Soll sich meinetwegen jeder seine eigene Welt machen und das Internet ein rotes Auto nennen (lesenswert!). Das ist ok für mich. Für Studenten der Geisteswissenschaften mag es sogar ein intellektuelles Vergnügen sein, sich mit 1460 Kunstdefinitionen und Metaphern auseinanderzusetzen, spannend wird die Diskussion um den Kulturbegriff aber erst:
Wenn es ums Geld geht.
„Jedem das Seine und mir das Meine“ ist dann nicht mehr. Würde man sich in der Kulturpolitik auf den „bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriff“ verständigen, müsste man den „von Menschen erzeugten Gesamtkomplex von Vorstellungen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Bedeutungen“ fördern. Ich sag mal so: eher schwierig. Wohl deshalb werden vom Kulturamt in der Regel die Schönen Künste (Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Musik, Literatur) sowie Medienkunst und Film gefördert. Interessanterweise hat man beim Kulturfördergesetz NRW, das Anfang 2015 in Kraft getreten ist, einen weiteren Kulturbegriff gewählt und folgende „Handlungsfelder“ definiert:
- Förderung der kulturellen Infrastruktur
- Förderung der Künste
- Erhalt des kulturellen Erbes
- Förderung der kulturellen Bildung
- Förderung der Bibliotheken
- Förderung der Freien Szene und der Soziokultur
- Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft
- Förderung der Breitenkultur
- Kultur und gesellschaftlicher Wandel
- Kultur und Strukturwandel
- Förderung interkommunaler Kooperation
- Experimente
Auch wenn sich aus dem Kulturfördergesetz kein Rechtsanspruch ableiten lässt, so besteht doch die Gefahr, dass jeder Geld vom Staat will. Nur als Beispiel: Wenn ich Kölner zur Altbier-Tour nach Düsseldorf einladen will, tituliere ich das zukünftig als „interkommunale Kooperation“, schreibe einen sprachlich elaborierten Antrag und lasse mir so ein derbes Saufgelage fördern. Für Entscheider kann ein weiter Kulturbegriff folglich zum Problem werden, trotzdem glaube ich, dass der Weg, der hier eingeschlagen wurde, der richtige ist. Denn wir sollten davon Abstand nehmen, dass ein Medium oder eine Kunstsparte per se gut oder schlecht ist. RTL II ist nicht gleich arte und nicht jedes Game ein Ballerspiel. Auf der anderen Seite macht das Lesen von Papierbüchern einen nicht zum besseren Menschen und der bloße Besuch einer Oper nicht schlau (siehe auch mein 2011 geschriebener Blogpost „Hochkultur: Lob der intellektuellen Tiefe“). Auch wenn der Wunsch nach Komplexitätsreduktion gegenwärtig sehr ausgeprägt ist und wir in einer Welt leben, in der erwartet wird, dass man jegliche Information in 140 Zeichen unterbringt, so möchte ich doch vor einer Übersimplifizierung warnen und abschließend sagen:
„Kultur ist für mich nicht in einem Satz zu definieren.“
Das obige Bild zeigt einen Ausschnitt aus dem Werk „Untitled“ des noch jungen Künstlers Matti Clemens (*2013). Stilistisch ist es an den abstrakten Expressionismus angelehnt und befasst sich inhaltlich mit der zunehmenden Komplexität unserer Welt. Alles ist miteinander verbunden, alles geht ineinander über – auch die Farben in seinem Bild. Wie auch bei anderen künstlerischen Positionen, die mittels Action Painting entstanden sind, lebt Matti Clemens‘ Werk von seiner Unmittelbarkeit und Dynamik. Gefühle, Emotionen und Spontanität sind ihm wichtiger als Perfektion, Vernunft und Reglementierung. Entsprechend gibt es bei „Untitled“ keine klaren Linien, keine Führung, keine Komposition im Sinne eines geplanten Bildaufbaus. Der Betrachter ist sich selbst überlassen. Dieser inhaltlich komplexen Thematik setzt der Künstler einfache Materialien und eine minimalistische Farbpalette (Gelb, Grün, Rot, Blau) entgegen. Da auf Schwarz konsequent verzichtet wurde und das Weiß des Hintergrunds an zahlreichen Stellen durchschimmert, vermittelt es eine fröhliche Grundstimmung und entwirft in Ansätzen die Vision einer positiven Zukunft. Dass Matti Clemens ausschließlich wasserlösliche Fingermalfarbe und als Bildträger einen Kühlschrank verwendet hat, kann als ironischer Kommentar zum schwer fassbaren Weltgeschehen und zur vermeintlich anspruchsvollen Hochkultur verstanden werden.
5 Antworten
Lieber Axel,
stimmt – der Beitrag macht nichts besser, außer dass er Himmel und Hölle vereint, wie ich es mir gewünscht hatte, nun, vielleicht wünschte ich mir nicht ganz so sehr die teuflische Polemik, aber wie @modelamong mir schon ganz zu Beginn der Blogparade auf Twitter nahelegte als die Posts zu #KultDef nur so einschlugen: „Die Geister, die ich rief“. Yep, du warst Nr. 72, mittlerweile gibt es 74 Posts und einer wird noch kommen, der es in sich hat und Hilfe benötigt.
Was zeigt das? Obwohl von mir „niederschwellig“ konzipiert, bewegt das Thema und zwar ganz unterschiedlich. Auch dich sprach es an – Boulevard-Zeitung-Vergleich hin oder her – und forderte dich zu deiner Polemik und deiner Liebe heraus. Für mich ist witzig, dass du Beispiele aufgreifst – Geld und Kulturbegriffe – die bei mir im Aufruf verlinkt sind. Klick mal auf den Spruch von Mark Twain oder auf „Kulturbegriffe“ – da findest du dir bekanntes wieder.
Und ja, ich gebe es zu: Ich wollte die ganze Palette haben, ob wissenschaftlich, leidenschaftlich und ganz persönlich und zwar nicht nur von Kutturschaffenden, obwohl naturgemäß viele von ihnen mitgemacht haben.
Was ist denn „Verwertbares“ für dich? Hängt es am Geld, soll es objektiv sein, wissenschaftlich den Begriff fassen – solche Beiträge gibt es in der Blogparade: siehe @mizzy_Schneyder, @musermeku, @inarcadiaego u. a. Stimmungsbilder gibt es auch und was für tolle von @result, die auf der Straße Kölner nach ihren Kulturbegriff fragen, oder @pausanio, die Akademie-Teilnehmer sprechen lassen oder #HemdohneNaht – grandios! Und ja, ich liebe diese Metaphern, die die Blogparade hervorgebracht hat: Kulturwald, Höhlenmalereigleichnis, Kulturpolitik und co.
Frag mal @jbrunotte, was für ihn „Verwertbares“ ist, #KultDef regte ihn zu „Kultur-Splitter“ an – klasse! Zwei neue Blogs gibt es, #KultDef löste den Funken dazu aus @arbabat & Lotta Lux – famos!
Verwertbares im Sinne von „Nachbrennen“ – ja, das wäre herrlich. „Für mich“ gibt es viel Denkstoff durch die Posts.
So, Himmel und Hölle beieinander. Ja, ich stimme dir schon zu, dass manchmal elaborierte Anträge schnöde Kulturförderung bewirken, hier wäre mal für die Kulturinstitutionen Anregung zu holen. Am Ende ist (fast) alles eine Frage der Argumentation, war schon Leitspruch in meiner Diss, wohlgemerkt „für mich“.
Und jetzt der Himmel bei dir: Ich mag deine Bildanalyse, darüber möchte ich gerne mehr bei dir lesen, denn das gefällt mir richtig gut. So kann man auch an Kunst und Kultur herangehen.
Also, vielen Dank für deinen Beitrag zu #KultDef!
Sonnige Grüße
Tanja
Hi Axel,
den Kühlschrank möcht ich sehen!
Klasse Beitrag!
Gruß Andrea
Danke für die beiden Kommentare. Jetzt erst gesehen… ups.
@Tanja Auf die Zusammenfassung der 75 Posts freue ich mich! 🙂
„Verwertbares“ im Sinne von: Damit kann man auf der praktischen beispielsweise auf der kulturpolitischen Ebene etwas anfangen.
@Andrea Ich würde dir gern ein Bild des kompletten Kühlschranks schicken, habe das aber vom Künstler aus urheberrechtlichen Gründen untersagt bekommen. 🙁 😉