Kultblick

Kann Kultur die Stadt retten? #Kultblick

Momentan boomen die Städte noch, gut erkennbar an den Mietpreisen in den Metropolen. Doch kleineren Städten hat die massive Zunahme des Online-Shoppings bereits zugesetzt – und der Trend hält an. Was hat das mit Kultur zu tun? Darum geht es in meinem Beitrag zur Blogparade #Kultblick, bei der ich die Notwendigkeit von Kultur aus ökonomischer Perspektive betrachte.

Während die Umsätze im stationären Handel kaum noch steigen, liegen die jährlichen Zuwachsraten im Online-Handel im zweistelligen Bereich (siehe Online-Monitor 2017). Das klingt zunächst nicht soooo dramatisch. Doch lenkt man den Blick auf einzelne Branchen – insbesondere im Non-Food-Bereich –, erkennt man, wie folgenreich diese Entwicklung ist. Zusammengefasst kann man sagen: Dem deutschen Einzelhandel droht ein Massensterben. So prognostiziert Handelsexperte Sirko Siemssen etwa, dass in den nächsten zehn bis 15 Jahren jedes zweite Filialunternehmen vom Markt verschwunden sein werde. Selbstredend wird sich dadurch das Stadtbild negativ verändern. Mit kulturellen Angeboten im öffentlichen Raum allein wird man diese Entwicklung nicht aufhalten können, doch könnten sie zumindest eine Maßnahme sein, um den stationären Handel zu stärken.

Umwegrentabilität: Schätzungsweise lohnt sich Kultur

Zum Thema „Kultur als Wirtschaftsfaktor“ gibt es gibt zahlreiche Studien, die eigentlich immer zum gleichen Ergebnis kommen: Die Investition in Kultur lohnt sich. Bei der Studie zur Umwegrentabilität des Leipziger Gewandhauses kamen die Autoren beispielsweise zum Schluss, dass „jeder in das Konzertgebäude investierte Euro der Stadt quantitativ messbar 2,50 € einbringt“. Solchen vermeintlich präzisen Ergebnissen, sollte man skeptisch gegenüberstehen, denn erstens wird bei Umwegrentabilitätsstudien viel mit Schätzungen gearbeitet und zweitens werden Alternativinvestitionen außen vor gelassen. Ob beispielsweise ein auswärtiger Besucher des „Theaters der jungen Welt“, der in Leipzig übernachtet, tatsächlich 195 Euro pro Tag in der Stadt ausgibt, wie in einer Studie der HWTK Leipzig (S. 8) angenommen wird, wage ich zu bezweifeln. Und auch die Frage, ob es – rein wirtschaftlich gesehen – nicht besser wäre, die jährlich über drei Millionen Euro starke Förderung des Theaters in ein Musikfestival, in Street Art oder in ein Zentrum für digitale Kunst zu investieren, bleibt unbeantwortet. Trotz meiner Skepsis gegenüber solchen Studien, gehe auch ich davon aus, dass Kulturausgaben sich für eine Stadt rechnen können. Offensichtlich ist dies bei prestigeträchtigen Häusern wie der Dresdner Semperoper, die massenhaft Touristen anlockt. Ob sich jedoch das Urmensch-Museum in Steinheim an der Murr lohnt, ist deutlich schwieriger zu beurteilen. Und wann sich die 789 Millionen Euro teure Elbphilharmonie für Hamburg über Umwege rentiert hat ebenfalls. Die Frage ist deshalb: Was für eine Kultur bringt dem Handel was?

Die Kultur muss zu den Leuten!

Dass rund 50 Prozent der Bevölkerung nie ins Theater, Museum oder Konzerthaus geht, weiß die (Nicht-)Besucherforschung schon seit längerem. Dagegen kann man so allerhand machen, Kinder und Jugendliche beispielsweise in Kultureinrichtungen zerren ausführen. Gute Idee, allerdings bringt das einer Stadt ökonomisch gesehen nicht viel. Ich denke daher, dass die städtische Kulturförderung in vielen Fällen eine völlig neue Ausrichtung braucht: Zukünftig sollte meines Erachtens verstärkt Kultur gefördert werden, die im öffentlichen Raum stattfindet und damit dort, wo die Leute sich aufhalten und ja, wo sie auch einkaufen gehen können. Das mag zunächst nicht besonders revolutionär klingen, es wäre jedoch eine Abkehr von genau jener Kulturförderung wie sie schon seit Jahrzehnten stattfindet. Klar gibt es in jeder größeren Stadt Musik-, Straßentheater-, Multikulti- und Streetart-Festivals, doch weit über 90 Prozent der städtischen Kulturausgaben fließen an Kultureinrichtungen, die nahezu ausschließlich innerhalb ihrer vier Wände agieren. Mehr Geld für Kulturaktionen im öffentlichen Raum bereitzustellen, ist das eine, Kultureinrichtungen zu ermuntern, außerhalb ihres Hauses Kultur zu vermitteln, das andere. Doch wie könnte das aussehen?

Opernaufführungen im öffentlichen Raum?

2009 leitete ein belgischer Fernsehsender mit einer „Do Re Mi“-Performance im Antwerpener Hauptbahnhof eine Welle von Kultur-Flashmobs ein, auf die auch Opern aufsprangen (siehe Beispiel oben). Gelabelt wurde das stets als Marketing-Aktion – warum eigentlich? Ich denke, man sollte genau solche Aktionen nicht unter Marketing-Aspekten betrachten, sondern sie als fertige künstlerische Produkte sehen, die zur Erfüllung des Kulturauftrags beitragen. Ziel wäre es demnach nicht, mehr Leute in die Oper zu locken, sondern einen kleinen Happen Kultur an die Leute heranzutragen. Denn so haben auch all jene was von der Oper, die sie zwar nie besuchen, sie aber über ihre Steuergelder mitfinanzieren. Umgekehrt stärkt es die gesellschaftliche Verankerung der Oper, beugt damit Kürzungs- oder Schließungsforderungen vor und trägt zur Attraktivität einer Stadt bei. Wenn sich aufgrund solcher Aktionen mehr Menschen die komplette Aufführung anschauen, umso besser, doch wäre das aus meiner Sicht ein positiver Nebeneffekt und nicht das primäre Ziel.

Dasselbe in Grün gilt für Museen. Auch diese agieren normalerweise nur innerhalb ihrer Einrichtung. Und klar, man wird keine Kunstausstellung, bei der schon ein einzelnes Werk einen sechsstelligen Betrag wert ist, in den öffentlichen Raum verlegen können. Über Replikate, Drucke und Fotos ließen sich aber sehr wohl Einblicke in Ausstellungen geben und Inhalte vermitteln – natürlich nicht in der Tiefe wie im Museum, aber darum geht es ja auch nicht. Sondern darum, die Kultur zu all jenen zu bringen, die unter normalen Umständen die Ausstellung nicht besuchen würden.

Kultur als Teil der Innenstadt

In Dortmund und einigen anderen Städten werden in den Sommermonaten Klaviere in die Fußgängerzonen gestellt, auf denen Passanten spielen können. Auch solche Aktionen tragen meines Erachtens dazu bei, Junge wie Alte für Kultur zu begeistern und die Innenstadt zu beleben. Wenn man als Bürger wiederum davon ausgehen kann, dass es sich lohnt, „einfach so“ in die Innenstadt zu gehen, weil einem dort kulturell etwas geboten wird, wird man auch eher vom Sofa aufstehen, die Schuhe anziehen und dorthin gehen. Und bei der Gelegenheit vielleicht nicht nur einen Kaffee trinken, sondern sich auch eine Hose, die man sonst vielleicht im Internet bestellt hätte, vor Ort kaufen. Genau so sieht Umwegrentabilität in der Praxis aus. Gerade Städte wie Dortmund, die sich nicht durch ein schnuckeliges Stadtbild und ein schönes Ambiente auszeichnen, sollten meines Erachtens alles daran setzen, diesen Makel durch ein reichhaltiges Kulturangebot im öffentlichen Raum auszugleichen.

Fazit: Ein Snack schließt kein Menü aus

Wird Kultur dadurch nicht zum Beiwerk für den Kommerz? Nein, genauso wenig wie ein Snickers kein Ersatz für eine vollwertige Mahlzeit ist und auch nicht als deren Beilage dient. Es ist lediglich ein anderes Produkt. Gleichwohl sehe zumindest ich es auch als Aufgabe einer Kultureinrichtung an, aktiv auf die Gesellschaft zuzugehen und diese mit Kultur zu „konfrontieren“. Und wenn dadurch der stationäre Handel profitiert, ist das gut und stärkt letztlich beide Seiten: die Kultur und die Innenstädte.

19 Antworten

  1. Lieber Axel,

    vielen herzlichen Dank für diesen Denkstoff! Er betrifft eine ganze Reihe von Institutionen und Verwaltungen. Gleichzeitig noch mehr den Aspekt von Kooperationen, die zwischen Handel, Kultur und Stadt laufen können. Ich wünschte mir manches Mal mehr Gemeinsamkeiten zwischen diesen dreien. Denn tatsächlich können sie, wie du es richtig schreibst, voneinander profitieren.

    Museen, die mobil sind, gibt es zwar schon, doch zumeist werden diese erst im Zuge von Teil- oder Ganzschließungen wegen Neu-/Umbau, eingerichtet, um in „Gespräch“ bzw. in „Erinnerung“ zu bleiben. Gleichzeitig gibt es aber auch Aktionen wie das Frankfurter Stadtlabor, ausgerichtet vom Historischen Museum Frankfurt, die aktiv in die Stadt hineingehen und den Dialog suchen. Gut. Diese begleiten sie zumeist mit einem Blog und Social Media. Vielleicht können sie über ihre Erfahrungen mehr verraten. Ja, Kultur kann Besuchermagnet sein und wenn es direkt im Stadtraum verankert ist, einige positive Effekte auslösen.

    Die Sache mit den Klaviers in Dortmunds Innenstadt finde ich absolut charmant!

    Deine Forderung berührt sich sehr eng mit dem Beitrag zu #KultBlick auf „Geschichten und Meer“ mit Onkel Juan, der wohl kaum ins Museum kommt. Ist das Gerechtigkeit? Ein anderer Aspekt deines Denkstoffes.

    Merci dir!
    Herzlich,
    Tanja

  2. Vielen Dank für den Kommentar und den Hinweis auf das Frankfurter Stadtlabor! „Onkel Juan geht nicht ins Museum” hab ich mir gerade durchgelesen. Da wird die Schwellenangst von Nicht-Besuchern und auch das Problem, dass viele Leute gar nicht wissen, was für kulturelle Schätze direkt vor ihrer Tür liegen, schön beschrieben.

  3. Hallo Axel und alle Mitlesende,
    Dein Beitrag rennt bei mir eine innere offene Tür ein, genau wie der von Tanja genannte „Onkel Juan geht nicht ins Museum“.
    Ganz wunderbare Denkansätze, die deutlich machen, dass man sich beim Herabsteigen aus manchem „Elfenbeinturm“ nichts vergibt, sondern im Gegenteil alle Seiten gewinnen können – und charmant und sympathisch ist es obendrein!
    „Ich denke, man sollte genau solche Aktionen nicht unter Marketing-Aspekten betrachten, sondern sie als fertige künstlerische Produkte sehen […]“ – da geht mir das Herz auf und beide Daumen nach oben 🙂 .

  4. Lieber Alex,
    auch von uns herzlichen Dank für Deinen #Kultblick Beitrag.
    Deine Denkansätze bergen großes Potential und das Archäologische Museum Hamburg hat bereits damit begonnen, das „Konzept Museum“ weiterzudenken. Im Bischofsturm, dem ältesten erhaltenen Steingebäude der Hamburger Altstadt, kann man sich bei einer Tasse Kaffee vom Bummeln erholen – ohne Eintritt kann jedeR, der möchte, „Kultur“ genießen, muss aber nicht!
    Es gibt aber noch viel zu tun 😉
    Viele Grüße aus Hamburg

  5. Hallo Axel,

    ein sehr interessanter Ansatz, wieder mehr Leben in die Stadt zu bringen.

    „Mein“ München hat zumindest sehr gute Aktionen, um den Menschen außerhalb der Institutionen Kultur näherzubringen, wie z.B. die „Oper für alle“ – Open Air Übertragung der Staatsoper, Lange Nacht der Architektur, Lange Nacht der Museen, etc..

    Viele Grüße

    Daniela

  6. Danke für den Hinweis! Ich gehe davon aus, dass alle Großstädte kostenlose Open-Air-Kulturveranstaltungen anbieten, die Frage ist aber: Stimmen die Relationen zur „klassischen” institutionellen Förderung? Und sollten Kultureinrichtungen noch mehr außerhalb ihrer vier Wände agieren?

  7. Das ist absolut richtig, was du da schreibst, Axel. Ein gutes Beispiel, bei dem Kultur einer Stadt neues Leben eingehaucht hat, ist Bremerhaven. Dort entstand in den letzten Jahren eine gut besuchte Museumsinsel, wo zuvor nur alte Hafenanlagen keine Besucher lockte. Deutsches Auswandererhaus, Klimahaus und Zoo am Meer sind heute überregionale Anziehungspunkte.

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