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Vom Interessenten zum Alumnus: die Customer Journey an britischen Universitäten

Ein großer Vorteil, wenn man an einer Hochschule arbeitet: Man kann über das EU-Programm „Erasmus+ Personalmobilität“ an einer ausländischen Partner-Uni hospitieren. So war ich im Oktober zwei Wochen in der Abteilung „Digital Marketing and Creative Service” der Nottingham Trent University (NTU). Ein Erfahrungsbericht.

Die Unterschiede zwischen einer Uni in Großbritannien und einer öffentlichen Hochschule in Deutschland sind gewaltig. Die staatlich festgelegten Studiengebühren liegen dort bei über 10.000 Euro pro Jahr, wohingegen hierzulande nur ein Semesterbeitrag in Höhe von rund 300 Euro erhoben wird. Unabhängig davon, was man von diesem System hält, entstehen dadurch ganz andere finanzielle Spielräume. So hat die FH Dortmund rund 14.000 Studierende und einen Jahresetat von 73 Mio. Euro, die Nottingham Trent University hingegen rund 29.000 Studierende und einen Jahresetat von über 300 Mio. Euro. In anderen Worten: Sie ist nur doppelt so groß, hat aber vier Mal so viel Geld.

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Britische Unis sind von ihren Studierenden abhängig

Aufgrund der gänzlich unterschiedlichen Finanzierungssysteme sind britische Universitäten wesentlich abhängiger von der Anzahl ihrer Studierenden als deutsche Hochschulen. In NRW bekommt jede Hochschule pro Studienanfänger 18.000 Euro und weitere 4.000 Euro für dessen Abschluss, wodurch ein hoher Anreiz geschaffen wird, viele Erstsemester anzulocken. Dass diese ihr Studium zu Ende bringen, ist – rein finanziell und kurzfristig betrachtet – aber nicht so entscheidend. Britische Unis, die von den laufenden Studiengebühren massiv abhängig sind, trifft das Wegbrechen eines „Gebührenzahlers“ hingegen wesentlich heftiger. Insofern verwundert es nicht, dass diese sich insgesamt mehr um ihre Studierenden kümmern (müssen).

Die anfängliche Herausforderung ist jedoch die gleiche wie in Deutschland: aus studieninteressierten Schülern Bewerber machen. Universitäten, die im Guardian-Ranking weit vorn stehen, können sich im Prinzip jegliches Marketing sparen, sie haben ohnehin genügend Bewerber. Bei 121 Unis trifft dies aber nur auf sehr wenige zu. Für die anderen heißt es: möglichst viele Studieninteressierte anwerben, so dass die Uni idealerweise nicht nur alle Studienplätze vergeben, sondern auch noch eine Auswahl nach Notenschnitt oder anderen Kriterien treffen kann.

Schritt 1: Kontaktdaten sammeln

Zwar gibt es auch in Deutschland Schüler- und Studienmessen, in Großbritannien haben diese aber ein deutlich höheres Gewicht. Außerdem müssen sich die Schüler für diese anmelden, womit der Organisator ihre Kontaktdaten erhält. Diese werden in Form eines QR-Codes auf den Messeausweis gedruckt und können auf  Wunsch der Schüler dann von den Unis auf der Messe gescannt werden. Das wiederum erlaubt den Hochschulen, die Schüler im Nachgang zu kontaktieren. Da sich der Erfolg einer Messeteilnahme seitens der Uni durchaus an der Anzahl der gescannten Kontakte bemisst, können sich die Mitarbeiter nicht „hinter ihrem Stand verstecken“ – hierzulande leider ein bekanntes Phänomen.

Zum Sammeln von Kontaktdaten dienen auch die „Tage der offenen Tür“, für die sich Schüler anmelden müssen. Diese finden nicht – wie in Deutschland üblich – einmal pro Jahr statt, sondern wesentlich häufiger. Abhängig vom Zeitpunkt unterscheiden sich diese auch inhaltlich. So sind jene im Herbst breiter angelegt; hier geht es darum, Schülern einen ersten Eindruck vom Studium und von verschiedenen Studiengängen zu geben. Das ist sinnvoll, da es häufig vorkommt, dass Schüler in dieser frühen Phase beispielsweise zwischen Jura, BWL und Maschinenbau schwanken. Jene im Frühling gehen mehr ins Detail und auf das Curriculum der Studiengänge ein. Während in Deutschland üblicherweise nur ein einstelliger Prozentsatz der Studieninteressierten zu solchen „Tagen der offenen Tür“ geht, ist das in Großbritannien die große Mehrheit.

Schritt 2: Studieninteressierte informieren

Der Grat zwischen informieren und „zuspammen“ ist schmal. Wie auch bei Newslettern hilft viel nicht viel. Entsprechend nützt es aus Uni-Sicht auch nichts, die Studieninteressierten besonders häufig zu kontaktieren oder sie mit besonders langen E-Mails zu beglücken, zumal man bedenken muss, dass die Schüler ihre Kontaktdaten vermutlich mehreren Unis gegeben haben. An der NTU bekommen die Studieninteressierten deshalb durchschnittlich „nur“ eine Mail pro Monat – mit nützlichen, gut strukturierten Informationen in zielgruppengerechter Sprache. Und auf Rückfragen wird zügig geantwortet.

In der Hochphase der Studienbewerbung wird auch massiv Werbung geschaltet. Allein die Ausgaben für Online-Ads liegen bei manchen Unis im sechsstelligen Bereich. Durch den hohen Konkurrenzkampf – insbesondere während des Clearings (Nachrückverfahren) – kommt es vor, dass bei bestimmten Keywords die Kosten pro Klick (CPC) in den Google AdWords bei über 5 Euro liegen.

Studieninteressierte, die sich beworben haben, erhalten nicht nur ein kleines Willkommenspäckchen, sondern werden von der Uni angerufen und beispielsweise gefragt, ob man ihnen noch behilflich sein kann oder sie Fragen haben. Selbstverständlich ist hier Fingerspitzengefühl gefragt, denn ein guter Service kann auch aufdringlich wirken.

Schritt 3: Studierende bei Laune halten

Ob Studierende sich an der Uni und in ihrem Studium wohlfühlen, hängt von einer ganzen Reihe an Faktoren ab (Dozenten, Lehre, Kommilitonen, Stadt, Campusleben, Noten etc.). Deshalb wird in Großbritannien auch durch sehr unterschiedliche Maßnahmen versucht, die Studierenden bei Laune zu halten und eine möglichst große Bindung zwischen ihnen und der Uni aufzubauen. Mitunter resultieren daraus auch kuriose „Student Societies“.

Gute Kommunikation spielt entsprechend nur eine untergeordnete Rolle, gleichwohl ist sie wichtig, um Studierende auf Angebote der Uni, des AStA (Student Union) oder der Stadt aufmerksam zu machen und einen guten Service zu bieten. Ähnlich wie mittlerweile auch in Deutschland wird Social Media dabei nicht als DIE Lösung betrachtet, sondern vielmehr als fester Bestandteil einer integrierten Kommunikation. Bei der Analyse der Social-Media-Aktivitäten diverser britischer Unis ist mir aufgefallen, dass sich diese inhaltlich und qualitativ nicht besonders von denen deutscher Hochschulen abheben, aber seitens der Fans und Follower deutlich mehr gelikt wird. Das hängt sicherlich zum einen Teil mit kulturellen Unterschieden zusammen, zum anderen aber auch damit, dass britische Studierende tatsächlich oft stolz auf „ihre“ Uni sind und ein hohes affektives Commitment an den Tag legen. Das erleichtert die Bindung an die Uni natürlich.

Schritt 4: Kontakt zu den Alumni halten

Absolventen können für eine Hochschule äußerst nützlich sein, indem sie beispielsweise Studierenden Jobs anbieten, kostenlos Vorträge halten oder Geld spenden. Alumni-Management wird deshalb auch in Deutschland zunehmend wichtig. An der NTU gibt es für Absolventen ein Alumni-Magazin, diverse Networking-Veranstaltungen und einen Newsletter. Eine ungeahnt große Rolle spielt jedoch auch LinkedIn. So hat die LinkedIn-Seite der NTU so viele Follower wie der Twitter-Kanal und die Facebook-Seite zusammen und auch die einzelnen Beiträge erzielen eine deutlich höhere Reichweite als auf den „klassischen“ Social-Media-Kanälen. Darüber hinaus gibt es auch eine geschlossene LinkedIn-Alumni-Gruppe mit über 10.000 Mitgliedern. In Deutschland werden LinkedIn und Xing gerade erst als soziale Netzwerke wahrgenommen, für Hochschulen bieten sie eine große Chance, um mit den Alumni in Kontakt zu bleiben.

Fazit: Der Kampf um die besten Talente hat gerade erst begonnen

Natürlich kann man an dieser Stelle eine Grundsatzdebatte entfachen und fragen, ob die ganzen Service- und Marketing-Ausgaben nicht besser in Lehre und Forschung investiert wären. Ja, da ist was dran. Insofern finde ich, dass ein so harter Konkurrenzkampf, wie er zwischen britischen Unis herrscht, nicht wünschenswert ist. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die Marketing-Ausgaben nur einen geringen Teil des Gesamtbudgets einer Hochschule ausmachen. Selbst wenn man sie komplett striche, würden Lehre und Forschung davon nur minimal profitieren. Außerdem erwarten Studieninteressierte und Studierende einen guten Service. Und um mehr Sichtbarkeit zu bekommen, sind Öffentlichkeitsarbeit und Marketing wiederum unumgänglich. Deshalb gehe ich davon aus, dass auch deutsche Hochschulen zukünftig mehr Geld in die „Customer Journey“ investieren werden.

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