Social-Media-Like-Dislike

Ihr Idioten! Ihr seid die Besten!

Love und Hate Speech, Candy- und Shitstorm sind nur ein paar Pixel voneinander entfernt. Und ständig muss man sich entscheiden, in was für einem Team man ist. Anstrengend. Aber sind unsere Zeiten überhaupt so schwarz-weiß? Oder fallen Kontraste nur stärker auf?

Als ich diesen Beitrag angefangen habe, wollte ich mit Beispielen aus meinem Social-Media-Feed einsteigen, in denen sich Leute aufregen oder empören. Oder das Gegenteil davon tun: andere abfeiern und mit Herzen um sich werfen. Das wäre auch problemlos möglich gewesen. Beispiele gibt es mehr als genug – selbst in meiner eher reflektierten Social-Media-Bubble. Doch wäre das repräsentativ? Wenn ich ehrlich bin: Nein. Es wäre maximal eine anekdotische Evidenz gewesen. Wenn nicht sogar falsch. Denn die meisten Posts sind bei nüchterner Auswertung gar nicht so laut, wie man annehmen könnte. Aber wie im richtigen Leben auch, fallen die Schreihälse eben mehr auf und ziehen so die Aufmerksamkeit auf sich. Langfristig ist das ein Problem.

Informationsflut als Hauptproblem

Auf Social Media werden vorwiegend kurze Texte und auf News-Websites hauptsächlich Überschriften gelesen. Das ist normal. Aus zeitlichen Gründen wäre alles andere auch gar nicht möglich. Ein packender Titel, notfalls vom „Best Online Title Generator“ erstellt, und ein Teaser mit ordentlich Feuer ist daher unumgänglich. Schließlich muss der Artikel ja geklickt und der Post erstmal ausgeklappt werden. Doch gerade bei sachlichen und komplexen Themen ist das ein heikles Unterfangen. Aus diesem Grund begeben sich beispielsweise Wissenschaftskommunikatoren höchst selten auf so einen schmalen Grat. In der Folge kommen ihre Infos allerdings auch nicht bei der breiten Masse an. Zu kompliziert. Beim „Heinsberg Protokoll“ hat man es anders gemacht und die Studie via Social Media leicht konsumierbar begleitet, sie in „snackable Content“ zerlegt. Und prompt gab es Prügel. Ein „Mahnmal missglückter Wissenschaftsvermittlung“ hat Autor Jens Rehländer die Kommunikation genannt.  Und gleichzeitig genau jene Mechanismen bedient, die er kritisiert. Er feiert das „schlichte PDF“ der Leopoldina zu Corona, tritt aber selbst als Brüllaffe auf. Warum hat er denn nicht eine nüchterne Stellungnahme veröffentlicht? Richtig, weil es dann niemanden interessiert hätte.  Aufmerksamkeit ist eben ein hohes Gut. Also wird geschrien.

Man kann sich über alles aufregen

Manchmal bekommt man Aufmerksamkeit in den sozialen Medien auch schneller als man denkt. Nicht immer jedoch positive. Cathy Hummels postet ein Selfie am Münchner Flughafen – Shitstorm! Lena-Meyer Landrut ruft zum Klimaprotest auf – Shitstorm! Die Band Culcha Candela kritisiert den Corona-Lockdown – Shitstorm! Ich möchte an dieser Stelle nicht in Whataboutism abgleiten, aber in Relation zu dem, was sonst so auf der Welt alles falsch läuft, ist es schon absurd, über was für Nebensächlichkeiten und Banalitäten sich die Leute in den sozialen Medien aufregen. Und wie häufig. Und wie heftig. Sachliche Kritik auf Social Media? Selten so gelacht.

Provokation und Hate als Geschäftsmodell

Andere zu kritisieren, gehört zum Job eines Journalisten. Das Problem: Die Grenzen zwischen Journalist, Blogger, Vlogger, Multiplikator und Influencer sind schon längst verwischt. Entsprechend nehmen sich immer mehr Personen das Recht heraus, andere öffentlich zu kritisieren. Selten geschieht das so scharf und sachlich wie bei Rezos „Zerstörung der CDU“. Im Trend liegen eher persönliche und verletzende Rundumschläge wie bei Oliver Pochers Attacke auf Influencerin Anne Wünsche. Und man stellt sich die Frage: Um was geht es Pocher dabei? Will er die Welt besser machen und die schmierigen Tricks von Influencern aufdecken? Oder sich primär selbst ins Rampenlicht rücken, indem er Wünsche an den Pranger stellt? Nun ja, er nimmt es zumindest billigend in Kauf, dass Anne Wünsche in der Folge seines Rants mit Hass bombardiert wird. Ich würde sogar sagen: Er provoziert es. Und was passiert? Es kommt zu einer Frontenbildung: Team Pocher vs. Team Wünsche. Wie beknackt. Denn kritikwürdig sind sowohl Wünsches vermeintliche Like-Käufe als auch Pochers Agitation.

Die Angst vor Hate Speech und Mobbing

Die gerade beschriebene Frontenbildung gibt es im Netz ständig. Nur die Kontexte ändern sich. Gemäß der Studie „#Hass im Netz“ führt das bei politischen Themen dazu, dass mehr als die Hälfte der Internetnutzer sich aufgrund (drohender) Hasskommentare seltener mit ihrer politischen Meinung in Diskussionen im Netz einbringen. Das ist traurig. Gleichzeitig blühen die Ränder auf und posaunen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit ihre Botschaften in die Social-Media-Welt hinaus. Ist das ein Widerspruch? Nein, denn bei ihnen ist die Meinung zur Gewissheit geworden. Gemäß dem Sprichwort „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“ prallen Gegenargumente an ihnen ab. Sie sind resistent. Und vor allem sind sie nicht alleine.

Facebook-Gruppen für alle – auch für Extremisten

Der Werbeslogan „Für jeden gibt es eine Facebook Gruppe“ trifft leider nicht nur im positiven Sinne zu. Auch für Verschwörungstheoretiker, Rechte und religiöse Extremisten gibt es Gruppen. Ihre Mitglieder wieder einzufangen ist schwierig. Wer sich erstmal verrannt und damit abgefunden hat, als Aluhutträger, Nazi oder Islamist bezeichnet zu werden, ändert seine Haltung nicht mehr so schnell. Höher ist die Chance, dass er auf Social Media lautstark auftritt. So hat eine Social-Media-Analyse von Alto Analytics auch gezeigt, dass eine Minderheit rechter Nutzer die politischen Diskussionen in den sozialen Netzwerken dominiert. Wenige können eben auch viele sein. Man sollte sich neben prozentualen Anteilen daher immer die absoluten Zahlen ansehen. So wären beispielsweise „nur ein Prozent aller Wahlberechtigten“ immerhin 620.000 Menschen. Nicht nur Eltern wissen, wie laut ein einzelnes Kind schreien kann. Entsprechend viel Lärm können 620.000 Leute verursachen. Schlimmer als tausend Presslufthämmer.

No-go-Themen: Flüchtlinge, Islam und Gendern

Da die Ränder so stark sind, ist es auf Facebook, Twitter & Co. schwer, einen sachlichen Diskurs zu führen, denn allzu schnell wird man von anderen Nutzern in eine Richtung gedrückt. Es ist kaum möglich, eingewanderte Flüchtlinge, die EU, Israel, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Veganismus, das Gendern oder die WHO zu kritisieren, ohne wahlweise als Nazi, Anti-Europäer, Antisemit, AfDler, Tiermörder, Maskulinist oder Verschwörungstheoretiker abgestempelt zu werden. „Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Nazis oder Hitler dem Wert Eins an“, lautet Godwin’s Law aus den frühen 90-ern. Und heute? Ist das schon nach ein paar Sekunden der Fall. Im Grunde bräuchte es immer erstmal einen zehnminütigen Monolog, in dem man seine grundsätzliche Haltung erklärt, um dann, ab Minute elf, leise Kritik zu üben. Das kann man natürlich so handhaben, aber dann interessiert sich wiederum niemand mehr dafür. Denn wie gesagt, die Aufmerksamkeitsspanne ist gering. Also sind kurze, knappe Statements gefragt.  Ein Teufelskreis.

Auf Social Media fehlt der Diskurs in der Mitte

Im SPD Ortsverein Posemuckel Nord ist das freilich anders. Hier kann man über heikle Themen kontrovers diskutieren, ohne direkt Prügel zu beziehen. Doch hat das kaum einen Einfluss. Man könnte auch mit der Wand reden. Ein beachtlicher Teil der Meinungsbildung findet mittlerweile eben via Social Media statt. Und dort wiederum ist ein kontroverser Diskurs in der Mitte kaum möglich. Stattdessen sind klare Bekenntnisse gefragt, möglichst in einem Satz oder noch besser: einem Hashtag. Kampagnen wie #keinenmillimeternachrechts befeuern diese Spaltung und nützen meiner Meinung nach eher den Rechten, als dass sie ihnen schaden. Ein falsches Wort, ein missglückter Ausdruck, ein falsch interpretierter Halbsatz, schon gilt man als „Ich-bin-ja-kein-Nazi-aber“-Nazi. Überzeugen, abholen, vielleicht auch mal den eigenen Standpunkt hinterfragen, gehören leider nicht unbedingt zu den Stärken von Social-Media-Nutzern. Dabei wäre das oftmals sinnvoller als auszugrenzen und „abzuschieben“.  Nicht nur beim Thema Politik.

Algorithmen verstärken die Filterblase

„Die Leute sagen immer: Das Internet wird immer schlimmer. Das Internet bleibt immer. Die Leute werden schlimmer“, könnte man frei nach Joachim Ringelnatz sagen. Denn letztlich sind die Menschen dieselben wie im richtigen Leben, die sozialen Medien nur Plattformen. Aber sie sind keine neutralen. Denn Algorithmen verstärken das Leben in der Filterblase und schlagen Nutzern vor allem Content vor, der ihren Interessen, Vorlieben und Meinungen entspricht. Fleisch für die Karnivoren, Gemüse für die Vegetarier. In der Folge kommt es zu einer Verengung der Weltsicht. Auch Echokammer-Effekt genannt. So sind Facebook, Twitter, YouTube & Co. zwar sicherlich nicht für die Spaltung der Gesellschaft verantwortlich, tragen aber dazu bei.

Die USA ist längst in rote und blaue Staaten geteilt

Wozu Schwarz-Weiß-Denken führen kann, zeigt die satirische Straßenumfrage „Lie Witness News – Trump Watergate Edition“ von Comedian Jimmy Kimmel gut. Dabei wurde die Watergate-Affäre Donald Trump in die Schuhe geschoben und ein paar seiner Anhänger gefragt, was sie von „seinem“ Verhalten hielten. Antwort: Sie finden es ok. Teilweise ergreifen sie sogar Partei für Trump. Mehr Tragikomik geht kaum. Dumme Trump-Anhänger eben? Das wäre so billig wie falsch. Die Fronten sind schlichtweg verhärtet. Das hat sich auch im Impeachment-Verfahren gezeigt. Für die einen war Trump von Beginn an schuldig, für die anderen von Anfang an zu Unrecht angeklagt. Voreingenommenheit auf beiden Seiten. Es überrascht wenig, dass sich Trumps Umfragewerte während des Verfahrens kaum verändert haben.

Fazit: mehr Selbstreflexion, mehr persönlicher Diskurs

Klar kann man sich Algorithmen wünschen, die die Weltsicht weiten und der eigenen Meinung widersprechen. Gleichzeitig muss ich gestehen, dass ich genervt wäre, wenn mir ständig Inhalte von AfDlern oder Verschwörungstheoretikern vorgeschlagen würden. Diskussionsfreudige Plattformen wie Twitter und Facebook sind zwar auf dem absteigenden Ast, doch von alleine lösen wird sich das Problem nicht. Denn auf YouTube erreichen komische Leute mit kruden Theorien, Halbwahrheiten und Lügen erschreckend viele Menschen, teilweise im siebenstelligen Bereich. Ob wir erst am Anfang einer gesellschaftlichen Spaltung stehen, wage ich nicht zu beurteilen. Ich befürchte aber: Ja. Daher kann ich nur appellieren, die eigene Meinung öfter mal zu reflektieren, selbst leisere Töne anzuschlagen, offen zu sein für andere Standpunkte und mit Andersdenkenden in Diskurs zu treten – und dabei verdammt nochmal nicht müde zu werden.

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