Ist Clubhouse eigentlich noch in? Und was ist mit TikTok, Pinterest und Snapchat? Ein Beitrag zur Frage wie Unternehmen auf neue Social-Media-Plattformen reagieren sollten.
Ich bin alt. Folglich habe ich schon viele Social-Media-Plattformen kommen und gehen sehen. Die prominentesten waren wohl Google+ (v.a. 2011), Vine (v.a. 2013) und Ello (v.a. 2014). Nicht ganz so bekannt: Mastodon, WT.Social und Diaspora. Alle diese Plattformen eint, dass sie mittlerweile tot oder irrelevant sind. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass manche Plattformen gekommen sind, um zu bleiben. Instagram ist das beste Beispiel. TikTok wiederum ist gerade dabei, sich zu etablieren und Pinterest ist schon lange da, aber irgendwie auch nicht. Ein großes Mysterium ist Snapchat. 2016 erlebte der Dienst einen Riesenhype, seitdem hört man nicht mehr viel von ihm, obwohl er laut ARD-ZDF-Onlinestudie 2020 von neun Prozent der hiesigen Bevölkerung (also von über 7 Millionen!) mindestens wöchentlich genutzt wurde. Doch egal um welche neue Plattform es sich handelt, die initiale Fragen für Online-Marketer bleiben gleich: Aufspringen? Wenn ja, wann? Und was hat man eigentlich davon?
Am Anfang gibt es kostenlos Reichweite
Zunächst kann man festhalten, dass Gelassenheit für Marketer ein Fremdwort ist. Viel zu groß die Angst, zu spät auf einen Trend aufzuspringen oder gar den Anschluss zu verpassen. Doch nicht nur Personen, auch Marken, Unternehmen und Organisationen wollen jung und dynamisch bleiben. Die Präsenz auf einer neuen Plattform wirkt da wie Botox gegen Falten. Im Normalfall fällt es zwar bei Unternehmen auf, wenn nur Marketing unter die Haut gespritzt wird, aber wen kümmert’s? Schließlich erhält man auf jeder neuen Plattform zunächst viel Bewunderung („Aha, die sind da jetzt auch. Muss ein cooles Unternehmen sein!“). Hinterfragt wird die Sinnhaftigkeit der Aktivität in der Tiefe selten bis nie. Stattdessen lautet die Devise: Image ist alles. Und deshalb müssen wir das machen!
Je bekannter die Unternehmen, desto besser für die Plattformen, denn sie werden dadurch noch attraktiver. Eine Win-Win-Situation also. Als Dank gibt es erstmal kostenlose Reichweite. Einzelne Unternehmen werden dadurch berühmt und bekommen zusätzliche Reichweite durch Berichte über ihre Marketing-Aktivitäten auf Online-Magazinen, News-Websites, Blogs, Podcasts und anderen Social-Media-Plattformen. Kritisch sind die wenigsten Journalisten, stattdessen wird gelobt: Seht her wie agil das Unternehmen ist! Best Practice! Tolles Marketing! Gratulation! Agenturen und Berater greifen solche Beispiele ebenfalls gerne auf, um ihren eigenen Kunden den Mund wässrig zu machen.
Und irgendwann wird man Werbekunde
Solange noch nicht sämtliche Konkurrenten, VIPs, Möchtegern-Influencer und Schokoladenhersteller auf der Plattform sind, ist es für Unternehmen auf neuen Netzwerken tatsächlich vergleichsweise einfach, Reichweite zu generieren. Sie erhalten eine Art First Mover Advantage. Das gilt freilich nicht für alle, sondern ganz im Gegenteil: nur für sehr wenige. Unternehmen, bei denen es nicht so recht klappt, werden nur deutlich seltener portraitiert, man hört nichts von ihnen (das ist ja ihr Problem…) und sie selbst hängen ihren Misserfolg freilich auch nicht an die große Glocke.
Doch selbst bei Unternehmen, für die es gut läuft, kommt irgendwann der Tag, an dem die Plattformen Geld verdienen wollen. Dann heißt es: zahlen, bitte! Es wird am Algorithmus gedreht, die organische Reichweite wird nach unten gefahren und es bricht die Stunde der Werbung an (Paid Social). Reichweite gibt es dann vor allem gegen Bezahlung. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Unternehmen von den Plattformen abhängig sind – und wenn diese so lange durchhalten, siehe oben.
Welche Opportunitätskosten entstehen durchs Ausprobieren?
„Stay hungry, stay foolish!“, war ein Credo von Steve Jobs, das bis heute durchs Netz hallt. Und ja, natürlich ist Neugier ein hoher Wert, den man sich erhalten sollte. Das gilt privat wie beruflich. Doch bedeutet das, dass man jede neue Social-Media-Plattform ausprobiert haben muss? Nein. Denn als Privatperson macht das müde („Social Media Fatigue“) und in Unternehmen, die zu viel ausprobieren, bleiben andere Sachen liegen. Zumal Testen ja nicht App installieren und ein bisschen Herumswipen bedeutet, sondern (wenn man es ernst nimmt) mit konzeptioneller Arbeit inklusiv operativer Umsetzung verbunden ist – und zwar über mehrere Monate. Anders lässt sich ein (Miss-)Erfolg schließlich überhaupt nicht messen. Da Angestellte in der Regel aber nahezu 100 % ausgelastet sind, sind sie gezwungen, entweder Überstunden zu schieben oder andere Tätigkeiten zu vernachlässigen, Stichwort: Opportunitätskosten. Mag sein, dass motivierte Mitarbeiter in hippen Startups bereit sind, die Extrameile auch so zu gehen, doch in etablierten Unternehmen dürfte ein solches Verfahren schnell an seine Grenzen stoßen – spätestens bei der nächsten Trend-Plattform.
Social Media ist ein Marathon
Generell ist organisches Social Media kein Sprint, sondern ein Marathon. Gerade kleine Unternehmen vergessen das oft. Egal ob auf Instagram, TikTok oder sonstwo. Am Anfang werden mehrere Posts pro Woche rausgehauen, doch kaum sind zwei, drei Monate vorbei, geht die Motivation flöten, die Mitarbeiter merken, wie viel Arbeit die Plattform macht und der Kanal beginnt, vor sich hin zu vegetieren – vor allem, wenn messbare Erfolge ausbleiben. Nach innen gerichtete Appelle („Wir müssen da wieder mehr Bewegung reinbringen!“) helfen selten. Entweder findet man sich also damit ab oder man stellt jemanden ein, beziehungsweise beauftragt eine Agentur – aber das kostet. Und spätestens dann stellt sich die Frage: Rechnet sich das? Für manche Unternehmen auf jeden Fall. Doch längst nicht bei allen.
Werbung ist oft die bessere Wahl
Zurück zu den Ausgangsfragen. Aus meiner Sicht sollten Unternehmen nur dann auf neue Social-Media-Plattformen aufspringen, wenn sie vor dem Testen folgende Fragen mit Ja beantworten können:
- Haben wir genug personelle Kapazitäten, um die Plattform angemessen testen zu können?
- Verlangt es unsere Zielgruppe, dass wir dort präsent sind? Oder sehen wir zumindest realistische Chancen, dadurch eine neue Zielgruppe zu erreichen?
- Sind wir bereit, uns vor dem Test Ziele zu setzen und bei Nichterreichung den Account wieder dicht zu machen? Können wir bei einer Zielerreichung dauerhaft den Kanal bespielen bzw. für mehr finanzielle/personelle Ressourcen sorgen, um dies zu gewährleisten?
Wenn ja, würde ich für einen frühen Start plädieren. Wenn nicht: Finger weg und warten, bis man auf der Social-Media-Plattform Werbung schalten kann! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Unternehmen und Organisationen bereit sind, vergleichsweise hohe Summen für die organische Bespielung von Social-Media-Kanälen auszugeben, vor Werbeschaltungen hingegen stark zurückschrecken. Aus meiner Sicht ein Fehler, da man Werbung wesentlich gezielter ausspielen kann und sie einen nicht zu einer dauerhaften Präsenz „verpflichtet“.
PS: Zu guter Letzt noch eine Empfehlung. Mark Mühürcüoglu von SD Sugar Daddies hat im Webinar „TikTok – Für welche Unternehmer lohnt sich das?“ berichtet, warum und wie er TikTok angegangen ist. Spannend fand ich insbesondere, wie das Team gewachsen ist (ab 16:24 min). Mittlerweile kümmern sich dort zwei Personen aus dem neunköpfigen Marketing-Team ausschließlich um TikTok. Auch wenn Mark den Erfolg leider nicht in Zahlen bemessen kann, so scheint es sich für die beiden Sugar-Daddies-Marken Cookie Bros. und O-Mochi zu lohnen.