Im Online-Marketing wird Unternehmen oft zu Authentizität geraten. Durch KI-generierte Texte, Bilder und Videos verlieren sie jedoch genau diese. Oder ist es nur eine Frage der Zeit, bis KI auch authentisch kann?
Vor kurzem wollte ein Gebäudereiniger, dass ich ihm helfe, seine Website zu optimieren. Kein Problem. Bei der Durchsicht der Website habe ich dann herzlich gelacht, als ich über die Dienstleistung „Unterhalsreinigung“ gestoßen bin. Gemeint war natürlich „Unterhaltsreinigung“. Selbstverständlich habe ich den Fehler (und viele weitere) korrigiert, die Website grafisch überarbeitet und sie suchmaschinenoptimiert. So amüsant und charmant der eine Patzer war, so unprofessionell war die Website insgesamt. Und das ist sicherlich nicht der Eindruck, den der Gebäudereiniger potenziellen Kunden vermitteln wollte.
Doch Fälle wie dieser nehmen ab, das gegenteilige Problem hingegen zu: Websites sind frei von Rechtschreibfehlern und sehen schick aus, haben aber nichts mehr mit dem Unternehmen zu tun – obwohl die Leistungen korrekt beschrieben und das „Über uns” inhaltlich richtig ist. Website-Generatoren, ChatGPT und andere KI-Tools lassen grüßen.
Wollen Kunden überhaupt Authentizität?
Bevor man den Verlust an Authentizität beklagt, sollte man erstmal die Frage klären, ob Kunden überhaupt an authentischem Marketing interessiert sind. Wenn dem so wäre, müssten Unternehmen, die auf Instagram zwar langweiligen, unkreativen und ästhetisch wenig ansprechenden, aber dafür umso authentischeren Content posten besonders viel Aufmerksamkeit und Reichweite erzeugen. Tun sie das? Nein. Warum? Weil Authentizität im Marketing kein Wert an sich ist. Authentizität befriedigt weder eine Sehnsucht noch sonst ein menschliches Bedürfnis. Sie ist nur ein Vehikel, um Glaubwürdigkeit zu transportieren. Die Realität muss also im Marketing in einer Weise geformt und inszeniert werden, die zum Unternehmen, zur Marke oder zum Produkt passt. Denn die große Masse an Kunden möchte genau das: Echte Menschen, echte Produkte, aber bitte spannend, lustig, kreativ oder spektakulär in Szene gesetzt und gerne gespickt mit einem Lebensgefühl oder einem Narrativ, mit dem man sich identifizieren kann.
Inszenierte Wirklichkeit ist ein oller Hut
Mit einem Schnappschuss eines Big Macs, der leicht verdrückt und ein paar Eisbergblätter verlierend lieblos in einer Pappschachtel liegt, gewinnt man keine Kunden. Daher druckt ihn McDonald’s so auch nicht auf seine Werbeplakate und postet so ein Foto nicht auf Insta, sondern inszeniert ihn. Das ist das normalste auf der Welt, daraus macht McDonald’s keinen Hehl – wie man an diesem Making-of eines Produktfotos auf YouTube sehen kann. Auch die Kunden wissen das und beschweren sich deshalb auch nicht über einen verdrückten Big Mac. Denn sie wollen verführt werden. Und rechtlich säßen sie ohnehin am kürzeren Hebel, denn so stark sich der Big Mac auf dem McDonald’s-Plakat vom echten unterscheidet, so wenig lügt es, denn die Bestandteile sind ja vorhanden: Burger Patty, Käse, Salat, Sauce, Bun. Sie sehen nur ein wenig anders aus. Und diese Form der inszenierten Wirklichkeit sehen wir nicht nur bei McDonald’s, sondern faktisch bei jedem werbenden Unternehmen, vom Automobilhersteller bis zur Zoohandlung.
Kann man die KI authentischer machen?
Zurück zum Thema KI. „It’s all about the prompt!”, heißt es mitunter, wenn ein KI-Tool nicht die gewünschten Ergebnisse hervorbringt. Oder positiv formuliert: Spezifiziert man seine Eingabe, bekommt man bessere Resultate. An der Stelle muss man sicherlich unterscheiden zwischen Textgenerierung, die schon jetzt sehr gut funktioniert, und der Bild- und Videogenerierung, bei der noch reihenweise Detailfehler auftreten. Doch bleiben wir bei der Textgenerierung. Indem man seine Prompts mit stilistischen Angaben wie „lässiger“, „weniger werblich“ oder „einfacher“ versieht, kann man die Texte seinem eigenen Schreibstil anpassen. Weißt man sie an, ein paar Buchstabendreher oder Stilblüten einzubauen, macht sie auch das und lässt sich zu schrägen Vergleichen wie „ein guter Reinigungsplan ist wie ein Schweizer Uhrwerk“ hinreißen.
Je mehr Daten, desto authentischer!
Noch authentischere Ergebnisse erhält man, wenn man eigene Inhalte hochlädt und so die KI trainiert. Dabei gilt: Je mehr, desto besser. Sind viele Daten vorhanden, ist es für KI-Tools vergleichsweise einfach, Muster zu erkennen und neue Inhalte in einem ähnlichen Stil zu produzieren. Das gilt für Texte, Bilder und Videos gleichermaßen. Daher können ChatGPT, Gemini und andere Large Language Models (LLMs) den Schreibstil von Goethe auch besser imitieren als meinen– weil sie nicht nur Zugriff auf ein paar Blog-Artikel, sondern auf sämtliche Werke von ihm haben. Mit wie vielen persönlichen Daten man ein KI-Tool füttern will, muss jeder selbst entscheiden (und bei urheberrechtlich geschützten Werken der Gesetzgeber), an der Technik wird es aber nicht scheitern. Das gilt auch für die Bild- und Videogenerierung. Hat ein KI-Tool Zugriff auf alle Wes-Anderson-Filme und idealerweise noch auf Expertenanalysen, die dessen Stil analysieren und in seine Bestandteile zerlegen, es für die KI vergleichsweise einfach, einen Trailer für einen Harry-Potter-Film im Wes-Anderson-Stil zu erstellen:
Je mehr Daten, desto gruseliger!
Eigentlich klar, trotzdem gruselig: Je mehr die KI über einen weiß, desto besser kann sie einen imitieren. Wenn man die KI also nicht nur mit Fachtexten füttert, sondern ihr auch persönliche Daten zur Verfügung stellt, ihr von den eigenen Meinungen, Einstellungen, Werten, Gefühlen und Gedanken erzählt, je offener man ihr gegenüber ist und je mehr man von sich preisgibt, desto mehr wird die KI wie man selbst. In der Folge benötigt sie dann nur noch einen Basistext oder eine grundlegende Information und kann anschließend beispielsweise einen Meinungsbeitrag verfassen, der nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich von einem selbst stammen könnte. Das klingt nicht nur beängstigend, das ist beängstigend. Und das führt schnell zu den großen Fragen im Leben: Was ist der Mensch? Wer bin ich? Und wenn ja, Richard David Precht?