Auch das ist Netzkultur: Online-Votings riggen

2011 hatte das Unternehmen Henkel eine Riesenchance: es hätte das erste coole Spülmittel auf den Markt bringen können. Ein Spülmittel, das von der Netzgemeinde gekauft und gefeiert worden wäre. Doch Henkel hat es nicht getan. Stattdessen haben die Verantwortlichen die Facebook-Kampagne „Mein Pril – Mein Stil“ an die Wand gefahren und ein Best-Practice-Beispiel für ein Worst-Practice-Beispiel im Bereich Social Media Marketing abgeliefert.

Das besonders Dumme an der Pril-Kampagne (hier eine Zusammenfassung von Focus) war die Absehbarkeit ihres Ausgangs. Wenn ein so großer Konzern den Nutzern die Chance gibt, Designs einzureichen und selbständig den Gewinner zu wählen, ist es seitens der Nutzer zu verführerisch, diesem eins auszuwischen; weniger aus Böswilligkeit, sondern vielmehr aus Spaß und – „Yes, we can“ – weil sie es eben können. Ein halbes Jahr zuvor, also Ende 2010, wurde beim OTTO-Facebook-Modelcontest bereits die Pseudo-Transe Brigitte zur Gewinnerin gewählt, was OTTO damals lässig akzeptierte. Die mediale Berichterstattung und die dadurch erhöhte Reichweite der Aktion nahm man gerne mit und münzte so den Schabernack zu einem Marketing-Coup um. Ich nehme sogar an, dass OTTO mit diesem Nutzerverhalten bereits im Vorfeld gerechnet hat und sich sehr wohl bewusst war, dass kein „normales“ Model diesen Wettbewerb gewinnen würde. Aber das ist Spekulation. Jedenfalls hat OTTO alles richtig gemacht und konnte die Aktion als Imagegewinn verbuchen. Bei Henkel war’s das Gegenteil.

Die neueste Dummheit: der letzte Kommentar gewinnt

Meiner Wahrnehmung nach haben die meisten Unternehmen aus den verunglückten Gewinnspielen der letzten Jahre die richtigen Schlüsse gezogen und gehen seitdem vorsichtiger vor. Andere lassen sich aber neuen Dummheiten einfallen: so hat der Münchner Radiosender Charivari in einem Facebook-Gewinnspiel jenem Nutzer, der als letzter einen Kommentar abgibt, 10.000 Euro versprochen. Der Endzeitpunkt des Gewinnspiels wurde allerdings nicht genannt, somit hätte es bis in alle Ewigkeit laufen können. Dass der Gewinnspiel-Beitrag trotzdem 700.000 Kommentare und 40.000 Likes brachte (siehe Stern-Artikel), lässt einen mal wieder an der Intelligenz der Menschheit zweifeln. Wobei man dazu sagen muss, dass im Verlauf des Gewinnspiels die Stimmung kippte, so dass die meisten Kommentare keine Gewinnspielteilnahmen, sondern von Hass erfüllte Beschimpfungen waren, die dem Sender das einbrachten, was er sich redlich verdient hatte: einen Shitstorm. Die Sache ging für Charivari unterm Strich glimpflich aus, denn da der Sender gegen die Facebook-Richtlinien verstoßen hatte, wurde der Gewinnspiel-Post und damit auch die ganzen negativen Kommentare gelöscht. Als Quasi-Wiedergutmachung hat der Sender 10.000 Euro an die gemeinnützige Organisation „young wings“ gespendet

Wolle Stimme kaufen?

An diesen Beispielen kann man sehen, was passiert, wenn Personen, die die Dynamiken im Netz nicht verstehen, sich scheinbar tolle Gewinnspiele ausdenken. Wer Teil der Netzgemeinde ist, hätte sich vermutlich niemals ein Pseudo-Gewinnspiel à la Charivari ausgedacht und erst recht keine „Korrektur“ à la Henkel vorgenommen. Denn das Votings „geriggt“ werden, wie es in der Fachsprache heißt, ist kein neuartiges Social Media Phänomen, sondern hat Tradition. Was Nutzer dazu antreibt und wie sie dabei vorgehen, kann man in einem 2011 geführten Interview mit NadinEagle sehr schön nachlesen. Zusammen mit anderen brachte er/sie beispielsweise den Kackeldackel in den Axe-Weihnachtskalender:

Dass Facebook-Abstimmungen am schwierigsten zu manipulieren seien, wie NadinEagle sagt, gilt mittlerweile wohl nicht mehr. Zwar kann man dabei keine Makro-Tools wie MausEmu einsetzen, welche das Ausfüllen der Abstimmungsformulare für einen erledigen, aber wie Dailydot im August 2013 berichtete, hat sich in Indien inzwischen eine eigene Industrie entwickelt, die den ganzen Tag nichts anderes macht, als Abstimmungen und Gewinnspiele auf Facebook, Twitter, Reddit & Co. zu Gunsten ihrer Kunden zu beeinflussen. Dass Facebook Seiten mit solchen Angeboten sperrt, ist klar, doch wirklich tot zu kriegen, sind sie (bislang) nicht. Buy Votes Cheap heißt jetzt Buy Cheap Votes – sonst ändert sich nichts.

War Moot 2008 die einflussreichste Person der Welt?

Abschließend noch ein Blick in die Vergangenheit: der bislang wohl größte Coup im Riggen von Online-Abstimmungen gelang den Nutzern von 4chan.org. Sie schafften es 2009, den damals 21-jährigen Gründer des Imageboards Christopher „moot“ Poole, beim Online-Voting zur einflussreichsten Persönlichkeit der Welt 2008 im US-Magazin Time auf Platz 1 zu wählen (siehe Spiegel-Artikel). Dem nicht genug wurde die Reihenfolge der ersten 21 Kandidaten so manipuliert, dass sie den sinnlosen Satz „marblecake also the game“ ergaben. Marblecake heißt der 4chan-Chatroom (IRC-Channel), in dem sich der Protest der Anonymous-Hacker gegen Scientology formte. Und Marblecake ist auch – typisch 4chan – eine ziemlich abartige Sexualpraktik (siehe urbandictionary.com). Wie der Hack technisch von Statten ging, beschreiben zwei Artikel auf musicmachinery.com (hier  und hier).

Fazit

Online-Votings und -Gewinnspiele sind eine heikle Sache, weil sich diese immer irgendwie hacken lassen – manuell oder via Software. Selbst Leute, die man getrost als Digital Residents bezeichnen kann, halten sich aus diesem Grund gerne ein Hintertürchen offen.
Als Veranstalter solcher Aktionen sollte man deshalb vorher (!) den Worst Case durchspielen und die Kampagne nur dann fahren, wenn man mit diesem leben kann. Und weil eben immer was schief gehen kann, ist es auch ganz gut, dass man bei der Bundestagswahl seine Stimme nicht via Facebook abgeben konnte – auch wenn sich das manch ein junger Erwachsener gewünscht hätte.

P.s. Eine Manipulation spielerischer Natur gab zur Weihnachtszeit 2008 auf Heise.de. Dort wurden die Nutzerbeiträge so bewertet, dass daraus eine rot-grüne Lichterkette entstand.

5 Antworten

  1. Vielen Dank fürs Lob! In dem Artikel steht ja quasi nichts Neues, aber ich denke, dass es wichtig ist, ab und an solch olle Kamellen mal wieder rauszukramen, weil man sie rückblickend einfach besser in den Gesamtkontext einordnen kann.

  2. Hi,

    mich würde mal interessieren, ob man ein online Voting irgendwie beeinflussen kann, und wenn ja, wie genau man das machen sollte?

    Angenommen, man hat irgendwo ein Projekt laufen, und die Welt soll nun voten. Wie könnte man so ein Projekt anfeuern?

    Machen andere Leute evlt. auch sowas, oder bin ich da der Einzige mit so krummen Ideen?

    Grüße
    Jürgen

  3. 1. Klar kann man Online-Votings beeinflussen (davon handelt der Artikel ja). Entweder manuell (sprich mit einer entsprechend starken Community im Rücken) oder technisch (z.B. mit Makrotools, was meines Wissens allerdings zunehmend seltener funktioniert). Lies dir am besten das im Text verlinkte Interview mit NadinEagle durch.
    2. Wenn ich das richtig verstehe, stellst du die Frage aus der Perspektive von jemanden der Online-Votings erstellt. Einfache Antwort: PR und Werbung. Die Frage ist so allgemein formuliert, dass man sie wohl kaum spezifischer beantworten kann… Das hängt von zu vielen verschiedenen Faktoren ab: Zielgruppe, Branche, finanzielle Mittel…

  4. Danke dir. Ich habe bei Galileo ein phantastisches Projekt eingereicht, aber offenbar wird nicht genug dafür gevotet. Daher frage ich mich, ob ich das irgendwie noch zu meinen Gunsten (dann würde ich eingeladen werden und möglicherweise auch noch mehr….) beeinflussen kann.

    Klar, Community. Aber krieg mal so viel Leute zusammen. Gar nicht so einfach.

    Ich lese mir deinen Text noch mal genau durch.

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